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Die Gefühlsschule

Eine Leipziger Talkrunde resümiert, was Schulen gegen rechts brauchen: Viel Gefühl, manches klare Verbot und Lehrer, die rechte Kultur erkennen

aus Leipzig CHRISTIAN FÜLLER

Am Morgen noch war auf der Leipziger Buchmesse eine neue Bibel vorgestellt worden. Also stand zu befürchten, dass auch am Mittag das „Forum Jugend und Bildung“ nicht verschont werden würde – mit der Mahnung, nur wer das richtige Buch liest, werde das rechte Gedankengut in den Köpfen der jungen Rechtsradikalen wegbekommen.

Aber weit gefehlt. Das Podium „Rechtsextreme Jugendkultur: Was tun im werteorientierten Unterricht?“ legte gar keine Literaturliste vor, keinen Bildungskanon, und es war auch kein verlängerter Büchertisch. Die Botschaft der Rechtsextremismusexperten lautete: Auch Schulen könnten mehr gegen rechts tun – wenn sie nur anders wären!

Seit beinahe einem Jahr grassieren Vorschläge, wie mit autoritären und gewaltbereiten Haltungen von Schülern umzugehen sei. Den fünf Leipziger Talkern waren diese drei am wichtigsten: Erstens: Die Schule darf nicht nur Wissen verwalten, sondern sie muss auch Raum für Gefühle lassen. Zweitens: Gegen eine bereits verfestigte rechte Dominanzkultur helfen zunächst nur Verbieten und Verstehen. Und drittens: Die wichtigsten Akteure sind – die Lehrer.

Die Schule, sagte der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz, sei viel zu sehr eine Kopfschule. Um den Kopf gehe es aber bei rechtsextrem eingestellten Schülern gar nicht so sehr, sondern um das Herz. „Wenn ich Einfluss nehmen könnte“, erläuterte Maaz, „würde ich die Beziehungsdynamiken unter den Schülern fördern.“ Unter den aus der Sozialpsychologie stammenden Begriff „Beziehungsdynamik“ fasst Maaz so ziemlich alles, was Kids an- und aufregt, was aber nicht zum Programm von Lehranstalten gehört: Beziehungen knüpfen, Konflikte austragen und lösen, mit Sexualität umgehen können.

Und dann schlug der Psychoanalytiker listig das Fach „Gefühlskunde“ für Schulen vor – wohl um für jeden sichtbar zu machen, dass „Gefühl“ unmöglich in eines der im 45-Minuten-Takt zu paukenden Fächer gezwängt werden kann, sondern im Interesse der ganzen Schule und ihrer Mitglieder liegt. Das Spannende an Maaz’ Charakterisierung war nicht ihr Neuigkeitswert – für die Schule knüpfte er nur an das an, was seit Hartmut von Hentig die Alternativschulbewegung und, theoretisch, auch jeder Lehrer weiß. Aber die Maaz’sche Gefühlsschule gibt es noch nicht. Dafür sind die Lehrpläne und die Schulräte in den Staatsschulen zu rigoros.

Sofort verbieten

Was aber passiert, wenn gefühlskalte Skins in den Schulen bereits in der Mehrheit sind? „Verfassungsfeindliche Symbole und Zeichen müssen sofort eingezogen und verboten werden“, empfahl Katrin Leubner, eine Lehrerin aus Potsdam. Bernd Wagner vom Berliner „Zentrum für demokratische Kultur“ fügte an, dass an manchen Schulen erst der Rauswurf eines aktiven „Kameradschaftsführers“ eine dominant rechte Szene aufbrechen helfe.

Leubner und Wagner spielten aber nicht linkes „law and order“. Sie machten deutlich, dass Verbieten kein Pauschalrezept ist. Lehrer müssen verstehen, sie müssen Symbole richtig deuten können – etwa dass hinter bestimmten Marken eine rechte Gesinnung oder autoritäre Protestkulturen stehen.

Leubner sagte dazu, „dass Lehrerinnen sich sehr gut auskennen müssen“, um vorzugsweise von Rechten benutzte Labels als Anlass zur Diskussion nehmen zu können. Und Wagner wies darauf hin, dass trotzdem im Unterricht allein der Kampf gegen eine rechtsautoritäre Kultur nicht zu gewinnen sei. Die Lehrer müssten in ihrem Kollegium „Texturen, Ideologie, Hintergrund und Auftreten“ pauken, mit der sich eine beginnende rechtshegemoniale Macht an den Schulen darstellt – und sich dann gegenseitig stark machen.

Überhaupt, die Lehrer. Immer wieder rückten die Pädagogen ins Zentrum der Debatte. Von ihnen hängt so vieles ab, nicht nur die kognitive Arbeit. Aber nicht alle sind entschlossen, das zu praktizieren. Das Buchmessen-Publikum konnte zwei Musterbeispiele dafür studieren.

Eine Lehrerin aus Sachsen begrüßte Maaz’ Vorschlag einer Gefühlskunde, bedauerte aber, dass sich das gar nicht machen lasse – weil es in ihrem Bundesland die Klassenlehrerstunde nicht gebe, „in der man über Gefühle reden könnte“. Die Frau schlug anschließend vor, „den ganzen Staat zu reformieren“.

Eine Lehrerin aus Thüringen sah das ganz anders. „Es geht. Ich nehme mir einfach die Freiheit.“ Zum Beispiel die, mit ihrer Schulklasse für drei Tage in ein Theater umzuziehen, um dort im freien Spiel etwas so Gefühlsbeladenes wie „Romeo und Julia“ aufzuführen. „Es ist sagenhaft“, schwärmte die Frau, „was man da mit den Schülern alles schafft.“

Und ganz am Schluss gab es dann doch noch den unvermeidlichen Büchertipp. Der Cottbusser Generalsuperintendent Rolf Wischnath, engagiert in einem Bündnis gegen Gewalt, empfahl das Buch „Zivilcourage“. Weil es vorführe, dass und wie man etwas machen kann.

„Zivilcourage zeigen – in Projekten lernen“. Volk und Wissen, Berlin. 176 Seiten, 38 DM

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