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MILOŠEVIĆ MUSS IN BELGRAD VERURTEILT WERDEN – UND DORT EINSITZENEine Chance für den Rechtsstaat Serbien

Slobodan Milošević sitzt im Belgrader Zentralgefängnis und muss sich mit der Anklage auseinander setzen, die ihm die Gründung eines verbrecherischen Vereins vorwirft. Wenige haben sich die Mühe gemacht, die fünf eng beschriebenen Seiten der Beschuldigung zu lesen und im serbischen Strafgesetzbuch nachzuschlagen. Es geht, allerdings erst im letzten Absatz, um den Artikel 26 – und der untersagt die Gründung einer Organisation mit dem Ziel, Straftaten zu begehen. Der Exdiktator ist demzufolge nicht nur wegen Amtsmissbrauch und Korruption angeklagt, sondern wegen allem, was zurzeit seiner unbestrittenen Führung verübt wurde. Damit ist er automatisch verantwortlich für alle Taten des jugoslawischen Militärs und der serbischen paramilitärischen Einheiten.

Leichtgewichtig sind die Anklagen also nicht, denen sich Milošević in Serbien gegenübergestellt sieht. Trotzdem fragt man sich, wohin er gehört: vor das Bezirksgericht in Belgrad oder das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag? Diese Frage ist politisch. Die UNO, die das Gericht in Den Haag eingerichtet hat, ist kein Überstaat, der auf klassischer Gewaltenteilung beruht. Und jener Staat, der sich am stärksten für diesen Gerichtshof einsetzt, die USA, würde nie erlauben, dass einer ihrer Bürger einem solchen Tribunal ausgesetzt wird. Aber die USA sind die letzte Supermacht; und schon die Supermacht der Antike, Rom, hat den Spruch geprägt: Quod licet Iovi, non licet bovi (Was Jupiter darf, darf der Ochse noch lange nicht). Was ist für die Demokratie in Serbien nützlicher: ein Urteil in Den Haag oder in Belgrad?

Wird Milošević von fremden Richtern in einer fremden Sprache aufgrund einer undurchsichtigen Prozessordnung verurteilt anstatt aufgrund normal verabschiedeter Strafgesetze, kann er als Märtyrer hochstilisiert werden. Dann aber kann sich das neue Serbien, das sich der Welt als Rechtsstaat vorstellen will, nicht als solches behaupten. Und der Mann wird nicht als der verurteilt, der er war, nämlich ein machthungriger, aus Eigeninteresse handelnder, feiger Massenmörder. Serbien sollte die Chance erhalten, mit seiner Vergangenheit fertig zu werden. Das darf nichts damit zu tun haben, wie viele Millionen Dollar Washington gewillt ist den Serben zu spenden.

Um bei der Politik zu bleiben: Natürlich muss man auch die Forderungen der Weltgemeinschaft berücksichtigen, aber ein Kompromiss ist vorstellbar: Erst ein Urteil in Belgrad, anschließend wird der Angeklagte nach Den Haag überstellt, am Ende sitzt er die Gesamtstrafe im Heimatland ab. Haftanstalten in Serbien sind übrigens sicher unbequemer als die Appartements in Holland. IVAN IVANJI

Publizist in Wien, war Übersetzer von Tito

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