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Wahlkreisgerangel

In fünf Wochen wird in Italien gewählt. Bislang streiten Regierung und Opposition um Kandidatennominierungen

ROM taz ■ Ziemlich unausgeschlafen sah Silvio Berlusconi dieser Tage bei den wenigen Gelegenheiten aus, in denen ihn die Öffentlichkeit zu Gesicht bekam. Doch die tiefen Furchen in seinem Gesicht waren nicht dem Wahlkampfstress geschuldet – zum Wahlkampf kam er bis gestern ebenso wenig wie die meisten anderen politischen Größen.

Die Chefs der Regierungskoalition wie der Rechtsopposition hatten Wichtigeres zu tun: In beiden Lagern galt es, die Wahlkreiskandidaturen unter den vielen Bündnispartnern aufzuteilen. Drei Viertel der Parlamentssitze werden in Italien nach britischem Modell vergeben: Wer im Wahlkreis vorn liegt, hat den Sitz. Eingeführt wurde dieses System 1993, um „größere Nähe“ zwischen dem Wahlvolk und seinen Parlamentariern zu schaffen.

Dumm, dass diesmal wieder das Gegenteil der Fall ist. Beide Lager haben zwar in den Linksdemokraten einerseits, in Berlusconis Forza Italia andrerseits eine dominante Kraft; drumherum aber gruppieren sich weitere Listen. Statt Basiswünschen sind erst mal Begehrlichkeiten der Partner zu bedienen.

Und so gestaltete sich die Kandidatennominierung als „Reise nach Jerusalem“. Toskanische Politiker treten in Kalabrien an, und mancher, der in der letzten Legislaturperiode in der Lombardei gewählt wurde, darf es diesmal in Sizilien versuchen.

Während es bei Mitte-Links nur um die interne Machtverteilung ging, hatte Berlusconi pikantere Probleme zu lösen. Drei seiner Partner nervten Berlusconi, mehrere Altstars aus der korrupten Ersten Republik zu nominieren. Zwar hat der Oppositionsführer in der Sache wenig Einwände – aber für sein Image sind solche Kandidaturen abträglich. Also gab's keinen Wahlkreis für die früheren sozialistischen Größen Gianni De Michelis und Claudio Martelli. Auch der frühere christdemokratische Minister Calogero Mannino geht leer aus. Gegen ihn läuft ein Prozess wegen Unterstützung einer mafiösen Vereinigung.

Bei seinen Partnern erntete Berlusconi für diese Entscheidung Unverständnis. Denn auch seine Busenfreunde Marcello Dell'Utri und Cesare Previti stehen vor Gericht, kandidieren aber trotzdem. Berlusconi fand eine salomonische Lösung: Statt der kompromittierten Väter treten ihre Söhne für die Rechte an: Mannino Junior und Bobo Craxi erhielten einen Wahlkreis.

Vorteile verschaffte das Nominierungsgerangel keinem der Lager – aber auch keine Nachteile. Zu spiegelbildlich war das Geschehen auf beiden Seiten. Zu spiegelbildlich auch warfen sich die Spitzenkandidaten Francesco Rutelli und Silvio Berlusconi in die Pose derer, die die letzten Querelen schlichteten.

Damit kann die heiße Phase des Wahlkampfs losgehen; in ihr werden beide Bündnisse Geschlossenheit demonstrieren. Im Mittelpunkt stehen die Kandidaten. Oder besser: der Kandidat. Rutelli ist es nicht gelungen, das Rennen in einen Zweikampf zu verwandeln. Die Rechte mobilisiert nicht gegen ihn, sondern für Berlusconi. Mitte-Links hofft, die eigene Gefolgschaft wachzurütteln, indem es vor allem gegen den Leader der Rechten Propaganda macht. Derweil beherrscht Berlusconi die Szene. So wird die Wahl am 13. Mai de facto zum Referendum über ihn.

MICHAEL BRAUN

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