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Zum Speichellecken verdammt?

■ Kommunikative Katastrophe: Ulrich Waller inszenierte Yasmina Rezas „Drei Mal Leben“ an den Kammerspielen

Ein Abend mit Gästen, dazu verdammt, in die Hose zu gehen. Unsägliche Themen von Astrophysik über das Für und Wider des Kekseessens nach dem Zähneputzen bis zur immensen Verlegenheit, die ein Ausgehen mit Laufmasche beschert, tragen das Ihre zur kommunikativen Katastrophe bei.

Zwei Paare in drei Variationen ein und desselben Abends führt Yasmina Rezas Stück Drei Mal Leben vor, das jetzt in der Regie von Ulrich Waller an den Hamburger Kammerspielen Premiere hatte. Inmitten einer stilvollen, weißen Sofagarnitur sitzt genauso streng wie farblich in schwarz-rot abgesetzt Sonja (Barbara Auer) und wälzt Akten.

Die im Hintergrund lauernde Pumpgun und die verstreuten Pokemons (Bühne: Raimund Bauer) lassen ahnen, dass in diesem gepflegten Ambiente nicht alles so nett bleiben kann. Schon bald quengelt der Sohn, Sonja überwirft sich mit ihrem Mann Henri (Burghart Klaußner). Kaum liegen die Nerven blank, kommen Henris Vorgesetzter Hubert Finidori (Rudolf Kowalski) und Frau Ines (Leslie Malton) zu Besuch – nur leider einen Tag zu früh.

Mühsam muss verborgen werden, wie schlecht es den Gastgebern passt, wie wenig Lust die Gäs-te ohnehin haben. Es ist grässlich, also besäuft man sich und teilt ordentlich aus: Jeder gegen Jeden, ganz unberechenbar. Waller schickt die vier Schauspieler in Krisen, die sie wegen der Etikette in ihrer Welt des besseren Mittelstandes eigentlich zu meiden trachten.

Wie sehr diese Welt aus den Fugen ist, zeigt jedoch die Wankelmütigkeit des Einzelnen: Wunderbar, wie Auer überlegen scharfzüngig und ohne Vorwarnung allen eins mitgibt. Malton fasziniert als im Kern Gute, die ständig gegen ihr Los als dumme Gans im Quartett kämpft, die Schwelle der fast hysterischen Hilflosigkeit jedoch kaum mal überschreiten darf.

Den ähnlich auf beschämendste Erniedrigung gedrillten Astrophysiker Henri gibt Klaußner mitunter ein wenig zu lautstark – immerhin will auch er nicht zum ewigen Speichellecken verdammt sein. Schön eklig ist Kowalski als ölig-eitler Hubert, der bei Häppchen mit Speck als erstes an Sonja denkt und Henri dezent Tritte verpasst.

Wallers treffsichere Inszenierung kehrt mit viel schwarzem Humor die Brüchigkeit von eifrig bemühter fester Struktur im menschlichen Leben nach außen: Das Hübsch-Eingerichtetsein will konserviert werden. Wie man darin Teddys, tropfende Sardinendosen und Freunde, die man siezt, unterbringt, darf sich noch während des Lachens jeder selbst überlegen.

Liv Heidbüchel

noch bis 22. April, Di-So, 20 Uhr, Kammerspiele

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