: „Leistung muss stärker betont werden“
Der Vorwahlkampf für die Hamburger Bürgerschaft am 23. September kommt auf Touren. Die Parteien befinden in diesen Wochen über ihre Programme und SpitzenkandidatInnen oder haben dies bereits getan. Zeit für erste Interviews. Heute im taz-Gespräch: Der Hamburger Vorsitzende und Spitzenkandidat der FDP, Rudolf Lange.Am nächsten Dienstag: Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und GAL-Spitzenkandidatin Krista Sager.
taz: Herr Lange, was machen Sie am 24. September?
Rudolf Lange: Ich erhole mich von der Feier anlässlich unseres Wiedereinzugs in die Bürgerschaft.
Sie haben mehrfach von einem zweistelligen Ergebnis für die FDP gesprochen. Meinen Sie das wirklich ernst?
Ja. Das ist unser Ziel, und das halte ich für absolut möglich.
Trotz der erheblichen Einbußen, welche die FDP vor zwei Wochen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erleiden musste?
Ich gehe davon aus, dass es in dieser Stadt ein erheblich zweistelliges Wählerpotential für Liberale gibt. Dieses Potential zu wecken, ist meine Aufgabe, und das wird auch gelingen. Das ist ein, wie ich finde, optimistischer Realismus.
Wir finden, sehr optimistisch. Ein zweistelliges Ergebnis für die FDP in Hamburg gab es nur zweimal, 1946 und 1974.
Aber das Potential ist da. Auch weil die Bindung an bestimmte Parteien nachgelassen hat, gibt es immer mehr unentschlossene Wähler. Die müssen wir ansprechen.
Meinungsumfragen prognostizieren der FDP lediglich drei bis vier Prozent.
Wir haben sicher ein paar Startschwierigkeiten gehabt, weil wir seit 1993 außerparlamentarisch sind. Auch musste ich mich als Spitzenkandidat bislang mit politischen Äußerungen etwas zurückhalten, aufgrund meiner Tätigkeit bei der Bundeswehr. Das werde ich nun alles in zügigem Tempo nachholen. Ich kann mich ganz auf die politische Arbeit konzentrieren, das ist ein Fulltime-Job.
Liberale wollen bekanntlich immer gleich regieren. Mit wem wollen Sie das tun?
Wir machen vorher keine Koalitionsaussage. Unser strategisches Ziel ist es zu erreichen, dass ohne die FDP keine Regierung – außer einer Großen Koalition, die ist theoretisch ja immer möglich – gebildet werden kann. Dann können wir uns aussuchen, mit wem wir eine Koalition eingehen.
Haben Sie eine Prioritätenliste?
Nein. Wir gehen danach, mit wem wir unsere politischen Ziele am besten erreichen können. Wir prüfen dann, was wir mit der SPD zusammen machen können, und was mit der CDU.
Und wie halten Sie es mit Schill?
Eine Koalition mit Schill kommt nicht in Frage.
Auch nicht in einer, wie er es nennt, Koalition der Vernunft aus CDU, FDP und Schill-Partei?
Eindeutig nein.
Streben Sie eigentlich ein Senatorenamt an?
Mein erstes Ziel ist es, die FDP wieder in die Bürgerschaft zu bringen, mein zweites, sie an der Regierung zu beteiligen. Alles andere sehen wir später.
Hamburgs FDP hat sich in den vergangenen acht Jahren vornehmlich zerstritten und chaotisch präsentiert.
Das ist vorbei. Chaotisch und zerstritten ist zurzeit vor allem die GAL. Die FDP ist jetzt bei aller internen Meinungsvielfalt einig und geschlossen.
Der Kurs der Hamburg-FDP geht, so unser Eindruck, stark in Richtung Wirtschaftsliberalismus.
Ich weiß nicht, woher Sie diese Interpretation nehmen.
Aus Ihrem eigenen Programm. Sie wollen beispielsweise die Kulturbehörde auflösen und zur Abteilung in der Wirtschaftsbehörde machen. Das heißt ja wohl: Mehr Kommerzkultur in der Event-City.
Das ist nicht die beabsichtigte Konsequenz dieser Umstrukturierung. Die FDP will kulturelle Vielfalt fördern und unterstützen. Eine Kultur, die sich nur am Kommerzgedanken ausrichtet, wird es mit uns nicht geben. Natürlich wollen wir auch Events, die attraktiv sind für Touristen und damit gut für den Standort Hamburg. Dabei geht an der verstärkten Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und mit Sponsoren kein Weg vorbei.
Und wo bleiben die kleinen, unabhängigen und unbequemen Kulturzentren und Einrichtungen?
Für die bleibt bei unserem Ansatz eher mehr Geld übrig. Das ist wie beim Spitzensport: Wer den haben will, muss zuerst den Breitensport fördern.
Zweites Beispiel: Sie wollen sämtliche öffentlichen Unternehmen – von der Saga bis zur HHLA – privatisieren. Wir nennen das klassischen Wirtschaftsliberalismus. Und das bedeutet doch auch: Leute werden entlassen.
Das ist eine volkswirtschaftlich notwendige Umstrukturierung. Diese Unternehmen können nicht länger wie Behörden geführt werden, sie müssen sich dem Wettbewerb stellen. Mehr Eigenverantwortung ist ein Kernpunkt unseres Mottos: Ideale statt Ideologie.
Also weniger Staat?
Ja. Wir müssen das politische Leben ausrichten an gesellschaftlichen Werten. Dazu gehören Eigenständigkeit, Kreativität, Flexibilität und Risikobereitschaft.
Beim Thema Innere Sicherheit fordern Sie dagegen plötzlich mehr Staat: Mehr Polizei und härtere Justiz.
Wo der Staat eine Kernfunktion hat, und das betrifft vor allem die Sicherheit seiner Bürger, muss er seinen Aufgaben nachkommen. Die Bürger müssen objektiv und subjektiv sicher sein können. Sie müssen sich in dieser schönen Stadt wohlfühlen können. Dazu gehört eine wahrnehmbare Polizeipräsenz und ein Strafvollzug, der den Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten so ausschöpft, dass eine hohe abschreckende Wirkung erzielt wird.
Ist Hamburgs Justiz zu lasch?
Letztlich: Ja.
Geschlossene Heime für jugendliche Straftäter ist ebenfalls eine Forderung der FDP.
Ja. Allerdings nur als letzte Konsequenz.
Abschrecken und wegsperren sind Programm einer Partei, die liberal sein will?
Man muss, da haben Sie Recht, mit den Freiheitsrechten anderer sehr sorgfältig umgehen. Aber in Fällen, wo eine weichere Linie nichts bewirkt, sind harte Maßnahmen durchaus notwendig.
Warum lehnen Sie dann eine Koalition mit Schill ab? Über diese Punkte wären Sie sich doch einig.
Ich sehe da sehr große Unterschiede. Schill trägt den Titel „Richter Gnadenlos“ ja wie eine Monstranz durch die Stadt; für uns ist Härte kein Prinzip, sondern nur die letzte Möglichkeit.
Zu einigen weiteren Politikthemen in Kürze: Gehört für Sie neben der Inneren Sicherheit auch die Sozialpolitik zu den Kernfunktionen des Staates?
Auf jeden Fall.
Warum fordert die FDP dann, diese nicht länger auf Randgruppen zu konzentrieren. Welche meinen Sie damit?
Die Bürger in einem demokratischen Staatswesen dürfen nicht per se von staatlichen Maßnahmen betroffen sein, positive wie negative. Sozialpolitik muss dazu führen, ein mitmenschliches Klima in dieser Stadt und soziale Initiative der Bürger zu fördern.
Wie stehen Sie zur Legalisierung von Drogen?
Weiche Drogen ja, Heroin nein.
Was halten Sie vom Verbandsklagerecht von Naturschutzorganisationen gegen Großprojekte?
Wir sind dagegen, in unserem liberalen Rechtsstaat können Verbände vor Ort den tatsächlich betroffenen Bürgern rechtliche Unterstützung zukommen lassen.
Warum ist die FDP dafür, Hamburg als Bundesland aufzulösen und einen Nordstaat zusammen mit den Nachbarländern zu bilden?
Hamburg muss sinnvoll mit seinen Nachbarn kooperieren. Wenn das langfristig zu einem Nordstaat führt, halte ich das für eine sinnvolle Entwicklung.
Der rot-grüne Senat hat beschlossen, die Rote Flora zu privatisieren. Allein das Wort müsste Sie doch schon entzücken.
Das ist zunächst einmal der Versuch der SPD, dieses innenpolitisch schwierige Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Wenn das aber zu einer friedlichen Lösung beiträgt, die allen Seiten gerecht wird, werden wir uns dieser nicht verschließen.
Würde Hamburgs Flüchtlings- und Asylpolitik mit Liberalen im Senat liberaler?
Im Rahmen der bundesgesetzlichen Möglichkeiten ist sie schon jetzt liberal, wenn auch nicht überdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Bundesländern.
Was halten Sie von der Hamburger Schulpolitik?
Der Leistungsgedanke muss stärker betont werden. Junge Menschen brauchen und wollen auch mehr Orientierung.
Und Sie wollen die Olympischen Sommerspiele 2012 nach Hamburg holen.
Warum nicht? Hamburg ist eine Weltstadt, zu der hochattraktive Sportveranstaltungen gut passen.
Zum Schluss: Welches sind für Sie die drei wichtigsten politischen Hamburger Themen für die nächste Zukunft?
Ganz oben die Bildungspolitik. Mit dem einzigen Rohstoff, den wir haben, den Fähigkeiten der Menschen, dürfen wir nicht so nachlässig umgehen. Zweitens muss die Verkehrspolitik anders werden. Die Konzepte der Grünen zur Verkehrsbehinderung sind eine Zumutung. Und drittens muss Hamburg noch sicherer werden.
Wir wetten mit Ihnen: Mit der Bürgerschaft wird das nichts. Sie schrammen knapp dran vorbei.
Diese Wette werde ich gewinnen. Interview: Peter Ahrens / Sven-Michael Veit
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