piwik no script img

Schritte zur Endlichkeit

In der Berliner Tanzwelt ist ihr Weg einzigartig. In den 80er-Jahren tanzte Riki von Falken in den besten Stücken der Tanzfabrik, in den 90ern trat sie als Solistin auf. Niemand sonst hat sich in der freien Szene einen so langen Atem bewahrt. Ein Porträt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Irgendwann war sie aus der Zeit gefallen und ist erst nach langer Abwesenheit wieder zurückkehrt. Das Solo „White Linen“, das Riki von Falken im Theater am Halleschen Ufer wieder aufnimmt, ist entstanden in dem Bemühen, die Wahrnehmung des Innen und des Außen wieder zu synchronisieren. Ein halbes Jahr lang hatte die Tänzerin ihren Mann jeden Tag auf der Intensivstation besucht. Mit „White Linen“ kehrte sie in den hell ausgeleuchteten Raum zurück, in dem das Fehlen der Nacht und der Dunkelheit den Rhythmus des Lebens wegwischte.

Das Stück erzählt nicht nur vom Versinken in großer Stille und von der Rettung daraus: Mit der Arbeit an „White Linen“ ist die Choreografin tatsächlich aus einem Bereich der Sprachlosigkeit und der Tabuisierung aufgebrochen und hat zu einer ganz eigenen Kommunikation darüber gefunden. „Diese Erfahrung von der Gewissheit des Todes hat mich auf das Wesentliche gebracht“, sagt Riki von Falken. „Ich stecke da drin, mit allem, was ich geworden bin.“

Anfang der Achtzigerjahre begann sie an der Tanzfabrik Berlin: Sie tanzte in Stücken von Jacalyn Carley, die zu Texten von Gertrude Stein die Syntax von alltäglichen Bewegungen zerlegte, und im Sportstück von Dieter Heitkamp, einer bösen und witzigen Abrechnung mit Fitnesswahn und der Fetischisierung des Körpers. In dieser Zeit stellte fast jedes Stück neue Möglichkeiten des Tanzes vor und seine Kompetenz für all die Themen, die den Körper und die Identität betrafen, wurde gerade erst wieder entdeckt.

Riki von Falken pendelte zwischen Berlin und New York und lernte dort die Arbeit von Merce Cunningham und Trisha Brown kennen, das abstrakte und strukturalistische Spektrum des Modern Dance. Die Tanzfabrik, deren Mitglieder auf allen möglichen Laufbahnen gestartet waren, bot ihr den Einstieg in die freie Arbeit. Der Weg dahin aber war verzwickt gewesen.

Riki von Falken, 1954 im nordrheinwestfälischen Hohenlimburg geboren, kam zwar früh ins Kinderballett und sprang mit 15 auf der Operettenbühne ein – für 10 Mark pro Tanz. Aber das übrige Leben lief nicht so glatt. Zudem erschien ihr „klassischer Tanz zu bourgeois“.

Damals, erinnert sich die Tänzerin, „wollte ich etwas für die Kinder der Arbeiterklasse tun“. Politisierung und Befreiung aus engen Familienverhältnissen passten nicht zu romantischen Idyllen. „Von Folkwang habe ich mit 17 nichts gewusst, obwohl die Schule in Essen fast um die Ecke lag.“ In Marburg studierte sie Sozialpädagogik und dort las Dietmar Camper, der Philosoph und Romantiker unter den Soziologen, Ende der 70er über die „Geschichte des Körpers“. „Da ging es um die Dekonstruktion der Identität, alles löste sich auf und ich bin fast wahnsinnig geworden, denn ich suchte nach einer Identität“, beschreibt sie heute ihre Mischung von Begeisterung und Unzufriedenheit.

Je mehr über den Körper geredet wurde, desto ferner schien er ihr, verrätselte sich als Chimäre. Bis Riki von Falken in Marburg ihre Zelte abbrach und nach Berlin zog. Die entscheidende Wende war für sie die Begegnung mit dem älteren Bildhauer Günter Anlauf, der später ihr Mann wurde. Sein Atelier lag im Hof vor ihrer Wohnung und lange sah sie ihm vom Fenster aus zu. Die Körperlichkeit der Arbeit am Stein hat sie ergriffen.

Als sich von Falken Ende der Achtzigerjahre von der Tanzfabrik zurückzog, wurde die Skulptur ihr Leitstern auf dem Weg der Auseinandersetzung mit dem Raum und der Architektur. „Ich habe damals keine Solokarriere geplant“, sagt die Choreografin, „aber zum ersten Mal ging ein Weg auf, kam ich dahin, wo ich hinwollte.“

Sechs Solos entstanden zwischen 1990 und 1996, in denen sie ihre eigene klare, konstruktive Formsprache fand und fragile Strukturen entwickelte. Fern der Tendenz der Neunzigerjahre, den Körper aufs Spiel zu setzen und zu immer größerer Intimität vorzudringen, betonten ihre Stücke die Endlichkeit der Ressource Leben. Manchmal kam sie sich vor wie jemand, der mitten im Wirbelsturm des Dekonstruktivismus als einziger versuchte, eine Balance zwischen Körper und Seele zu finden.

Der Kulturbetrieb und die Modalitäten der Förderung lassen den langsamen Zuwachs von Lebenserfahrung in der freien Szene allerdings kaum zu. So bleibt ein ganzes Spektrum der Wahrnehmungen, die sich gerade auch durch das Älterwerden verändern, ausgespart. Von den Tänzern und Choreografen, mit denen Riki von Falken in der Tanzfabrik zusammengearbeitet hat, steht denn auch heute fast keiner mehr auf der Bühne. Schon deshalb ist „White Linen“ kostbar, eine Aufführung, die irgendwie geborgen scheint aus dem Strom der Zeit.

„White Linen“ ist im Theater am Halleschen Ufer zu sehen, vom 11. bis zum 14. April jeweils um 20 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen