mks und die zombies vom mars:
von KARL WEGMANN
„Das Leben ist ein Science-Fiction-Film aus den Siebzigerjahren“, behauptet Willy. Niemand widerspricht ihm, die Maul- und Klauen-Seuche und ein halber Kasten Bier haben uns paralysiert. Wir wollten zu Ostern alle zusammen nach Holland. Haus auf Terschelling ist längst gemietet, Fähre gebucht und angezahlt. Dann kam MKS. „Ja sicher können Sie noch Hunde auf die Insel mitbringen“, flötete die Tante von der Vereniging voor Vreemdelingenverkeer, „aber spazieren gehen nur mit Leine, und ob man sie nachher wieder nach Deutschland hineinlässt, ist fraglich.“ Na toll!
Was tut man, wenn man in einem noch nicht bestätigten Katastrophengebiet lebt? Abwarten. Tübingen kann jeden Tag den Daumen senken. Und Bier trinken. Hermann öffnet eine neue Runde und fragt Willy: „Welchen Teil der Siebziger meinst du genau?“ – „Anfang“, knurrt Willy. Wir trinken und kramen in unserem umnebelten Gehirnkasten nach dreißig Jahre alten Science-Fiction-Filmen. „ ‚Rollerball‘ ?“, fragt Bernd. „Passt nur bedingt“, antwortet Willy. Dann richtet er sich ein wenig auf und sagt: „Ich meine diese ganzen Filme, in denen es um Umweltkatastrophen geht. ,Soylent Green‘ zum Beispiel oder ,The Crazies‘ von George A. Romero. ,Crazies‘ ist typisch. Da wird eine amerikanische Kleinstadt komplett abgeriegelt, weil nach einem Flugzeugabsturz der Ausbruch einer Seuche droht. Mit diesen Filmen sind die heute Verantwortlichen aufgewachsen, diese Bilder haben sie alle noch im Kopf.“ Hermann guckt skeptisch: „Aber ging’s da nicht um bakteriologische Kampfstoffe oder so?“ – „Egal“, winkt Willy ab, „es geht einzig und allein um den so genannten Schutz der Bevölkerung. Schaut euch doch diesen wild wuchernden Aktionismus an. Ein gigantischer Medienrummel. Da werden Straßensperren errichtet, jedes Auto und jeder Turnschuh werden sorgfältig abgespritzt und zwei Meter weiter hoppeln die Karnickel vorbei, fliegen Vögel, schleicht der Fuchs zum Bauernhof. Aber das Fernsehen bringt Sondersendungen über Desinfektionswannen. Und den Politikern geht einer ab. Sie kriegen mehr Sendezeit, als sie je für möglich gehalten haben, und erinnern sich an alte Filme. Sie wollen alles noch viel dramatischer, größer, bunter, gefährlicher. Frag mal einen alten Bauern, der sagt dir: ‚MKS hat’s früher auch schon gegeben, ein paar Tiere starben, einige haben überlebt, keine große Sache.‘ “ – „Genau“, sagt Hermann, „die Leute an den Schalthebeln wollen doch nur die Fleischpreise wieder nach oben treiben, dazu müssen halt ein paar Millionen ...“
Weiter kommt er nicht, denn Konscho platzt rein. Er sieht uns an und fragt: „Welchen Film habt ihr denn gesehen? Kommt schon, und diese Depri-Mucke. ‚Goldfrapp‘, ‚Will Oldham‘, wacht auf, der Winter ist vorbei.“ Wir schauen alle aus dem Fenster. Es regnet. „Wie ging eigentlich die Sache bei ‚Crazies‘ damals aus?“, fragt Bernd. „Blutig“, erwidert Willy, „die ganze Schutzzone wurde in ein mörderisches Schlachtfeld verwandelt.“ – „Ihr habt ‚Crazies‘ gesehen?“, fragt Konscho, „schon erstaunlich, was sie heute alles im Vorabendprogramm bringen.“
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