„Die Konsequenzen waren viel größer“

Propagandamagazine, Spielzeugfiguren und Postkarten aus Theresienstadt sind ihm Material für „authentische Fälschungen“: Der belgische Künstler Luc Tuymans untersucht in seiner Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin Strategien der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit

Interview: SILKE HENNIG

taz: Herr Tuymans, Ihre Ausstellung im Hamburger Bahnhof zitiert die Zeitschrift „Signal“, die in den Jahren 1942–45 von den Nationalsozialisten verlegt wurde. Was war das für eine Publikation?

Luc Tuymans: Signal wurde damals hier in Berlin herausgegeben, aber nicht in Deutschland verteilt. Die Zeitschrift war ein Instrument der Propaganda und wurde nur in den so genannten befreundeten Ländern verteilt. Sie ist auf Französisch, Spanisch, ich glaube sogar auch auf Englisch erschienen. Die ursprüngliche Idee für meine Arbeiten entstand während einer Lesung hier in Berlin vor vier Jahren, als man mir vorschlug, eine Ausstellung zu machen: Bei diesem Vortrag zeigte ich eine Gruppe von vier Bildern, die zusammen eine Arbeit bilden. Sie heißt „Die Zeit“. Und das letzte Bild ist eigentlich der Kopf von Heydrich, den ich 1988 aus einem der Propagandahefte geschnitten und dann völlig umgeformt habe – das Gesicht wurde mit einer Sonnenbrille übermalt usw. Da kamen mir schlagartig zwei Gedanken: zuerst, dass ich in Berlin war und dass es hier außer dem zentral gelegenen Hamburger Bahnhof am Wannsee das Haus der Wannsee-Konferenz gibt. Am Tag danach habe ich mich mit Norbert Kampe, dem Historiker, der die Gedenkstätte leitet, in Verbindung gesetzt. Ich hatte die Idee, sechs Arbeiten, meine wichtigsten und exemplarischsten, dort in der Villa zu zeigen. Wir haben darüber geredet, aber dann habe ich mir doch gedacht – so vier oder fünf Monate später –, das wäre zu überzogen und ich sollte doch besser die Finger von dem Raum lassen. Nun machen wir zum Ende der Ausstellung, am 13. Mai, eine Konferenz in der Villa über Kunst und Politik.

Warum wollten Sie gerade an dem Ort ausstellen, an dem die „Endlösung der Judenfrage“ organisatorisch festgeschrieben wurde?

Ich wollte sehen, was geschieht, wenn die Bilder, die dieser oder ähnliche Orte hervorgebracht haben, mit dem Ort selbst konfrontiert werden. Würden sie dadurch „entwertet“ oder sich womöglich auflösen? Dabei geht es natürlich auch um die Idee von Bewältigung.

Sie haben mehrfach nach Vorlagen der Zeitschrift „Signal“ gearbeitet. Worin lag dabei der Reiz?

In meiner eigenen Geschichte, im Familienbereich, war immer die Rede vom Krieg. Aber da wurde immer direkt erzählt. Mit meiner Arbeit wollte ich zunächst indirekt herangehen: all das Gewöhnliche dieser Zeitungsbilder, diese Art von Banalität und das banale Feld um den Krieg herum. Eine Vorstellung von heiler Welt – und auf der Rückseite sah man gleichzeitig eine Kanone oder was immer. Die Gewalt wurde immer verschönert in diesen Heften. Zum einen war da also diese ziemlich verquere Idylle. Dann sah das Magazin auch noch wie Paris Match aus, war in etwa gleich groß und hat als eines der Ersten Farbfotos abgedruckt, im Linotype-Verfahren, bei dem die Farbflächen übereinander gedruckt werden. Alles sehr aufwendig und teuer, wie man es heute nicht mehr machen kann. Dieses Verfahren gibt dem Bild eine sehr malerische Qualität. Das wirkt im Grunde alles ziemlich eigenartig. Es gab also durchaus einen rein visuellen Bezug zu der Idee, die Zeitschrift als Vorlage zu benutzen, andererseits war sie mit einer Inhaltlichkeit verknüpft.

Nun wählen Sie ja unbestimmte Ausschnitte von Bildern, die Sie dann malen. Wenn Sie Ihre Bilder in einen so konkreten Zusammenhang wie hier in Berlin stellen – ist das nicht ein Widerspruch?

Mir ist der Bezug einfach sehr wichtig, weil die Bilder so entstanden sind. Man könnte natürlich die Frage auch in dem Sinne beantworten, dass es gleichzeitig, wenn man sich mit der Darstellung beschäftigt, auch eine Faszination für den Gegenstand gibt. Man ist nie frei davon. Diese Angelegenheit ist nicht so einfach, wie sie scheint. Diese ganze Kriegsgeschichte geht über das rein Persönliche hinaus. Ich meine, die Konsequenzen waren viel größer! Es war mir wichtig, das Thema, das ich ausgewählt habe – fast intuitiv am Anfang, später natürlich viel rationaler durchgeführt – und dessen Tabuisierung zu malen, gerade, weil ich diese Zeit nicht selbst miterlebt habe. Ich wollte es auf eine eher indirekte Art und Weise malen, weil mir das präziser erschien als irgendein megalomaner Aufbau. Der Grund dafür oder die Faszination daran ist eigentlich, dass dieses Thema ein Teil der Kultur ist und nicht aus der Kultur verbannt gehört, weil man meint, der Horror sei zu groß und deswegen könne das Geschehene nicht bewältigt werden.

Was interessiert Sie daran, nach Fotos oder Ausschnitten vorgefundener Bilder zu malen?

In der Kunst hinkt man der Zeit stets ein wenig hinterher. Die Idee, die ich verfolge, nannte ich früher mal „authentische Fälschung“. Ich habe sehr früh gemerkt, dass es unmöglich war, etwas Originelles zu schaffen, weil es das überhaupt nicht gibt. Jedes Bild existiert im Grunde genommen schon. Später sah ich eine Chance darin, die Dokumente als Vorlagen, überhaupt die Idee des Dokumentarischen mitzuverarbeiten. Der Grund der Ausstellung ist eigentlich dieser ziemlich gefährliche Prozess, Dinge zurückzuführen: auf eine Zeitschrift der Nationalsozialisten in den besetzten Gebieten, wie Signal zum Beispiel. Aber das passiert indirekt, die Zeitschrift steht ja außerhalb der Ausstellung. Man kann als Zuschauer die Bilder genießen – aber eben nicht mehr völlig. Und das ist sehr wichtig, das ist auch der Grund der Ausstellung, deswegen ist sie in Berlin. Ob es wichtig ist, diese konkreten Bezüge zu kennen oder nicht – das soll jemand anders entscheiden.

Wie gehen Sie beim Malen an ein Bild heran? Wie ist das Verhältnis von Inhalt zu Form?

Ohne einen Inhalt oder irgendwie eine Bedeutung kann ich nicht malen. Ich wäre ein ziemlich schlechter abstrakter Maler oder ein Maler, der abstrahierend malt – das kann ich nicht, das habe ich auch nie so geschafft. Wenn ein Bild etwas abstrakter aussieht, hat es dennoch eine Bedeutung. Zum Beispiel gibt es in der Ausstellung eine Darstellung von Hautkrebs – und die sieht wie ein abstraktes Bild aus. Es ist aber keins, nur ein Großausschnitt von einem Stück Haut. In dem Sinne ist der Gegenstand sehr, sehr bestimmend.

Aber gleichzeitig spielen doch offenbar auch formale Überlegungen eine Rolle?

Die gibt’s natürlich auch, die hat’s immer gegeben. Aber die sind auch ziemlich inhaltlich. Zum Beispiel ein Bild wie „our new quarters“ ist meiner Meinung nach nicht das schönste oder das beste oder das bestgemalte Bild von mir. Aber es ist eines der Wichtigsten – weil es am plakativsten ist, könnte man sagen. Ganz intuitiv habe ich da zum ersten Mal den Hintergrund in einem „Unton“ gemalt, einer Art Militärfarbe, so wie Khaki oder was immer. Ich wusste dann nicht genau, was ich darauf malen sollte, und habe mir das sehr eingehend überlegt, bis mir auf einmal dieses Bild in den Sinn kam, das zurückgeht auf eine alte Postkarte von Theresienstadt, also den Innenhof. Den habe ich dann darauf gemalt und gleichzeitig auch diese Worte, „our new quarters“ in Gelbweiß, wie eine Untertitelung. Das ganze Bild wird also in eine Mythologie eingebaut und dann eigentlich vernichtet. Man kriegt fast etwas Dokumentarisches, wie ein untertiteltes Filmbild. Die formalen Entscheidungen beeinflussen ja ganz pragmatisch mit, was das Bild auch bedeuten könnte oder soll.

Ihre Bilder haben immer den Anschein von Alter. Die Farben wirken vergilbt oder ausgeblichen. Man hat da nie den Eindruck einer unmittelbaren Wirklichkeit. Selbst ein Bild wie „Suspended“, das in kräftigen Farben gemalt ist und das an ein Familienurlaubsfoto erinnert.

Sie meinen das mit dem Haus? Das geht auf Spielzeug zurück, das kurz nach dem Krieg gemacht wurde. Die Figuren sind, wenn man genau hinschaut, zu groß für die Landschaft. Es sind Figurinen, die man zum Beispiel für Dioramen benötigt und die immer noch benutzt werden. Das von mir übernommene Kolorit lockt den Besucher auf die falsche Spur, könnte man sagen. Und die Idee, dass man betäubt wird durch einen derartigen Charme – der natürlich nur rein ästhetisch einwirkt – und daran zurückerinnert wird, wie man früher Bilder angeguckt hat, das ist schon ein System, ein Konzept. Auch die Vergilbung zum Beispiel in „Gaskammer“ entspricht genau der Wirklichkeit, denn ich habe die Gaskammer – das war in Mauthausen – tatsächlich vor Ort aquarelliert. Fünf, sechs Jahre später war das ganze Blatt vergilbt. Deswegen die gelbliche Färbung des Bildes. Das Dokument wird noch mal nachgeahmt im Bild selber.