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Amerika den Amerikanern

Die geplante Freihandelszone FTAA ist ein Projekt zur Sicherung der US-Hegemonie in Lateinamerika – und zugleich Vorbild für eine neoliberale Weltwirtschaftsordnung

Die Protestbewegung, die seit Jahren gegen das Abkommen mobilisiert, muss Gegenkonzepte produzieren

Am kommenden Wochenende treffen sich die Regierungschefs von 34 Staaten Nord-, Mittel- und Südamerikas. Im kanadischen Québec werden sie den Zeitplan für die „Freihandelszone Amerikas“ (FTAA) absegnen, auf den sich ihre Wirtschaftsminister kürzlich in Buenos Aires geeinigt haben. Demnach sollen ab 2006 die Zollschranken zwischen Alaska und Feuerland fallen. Doch es geht um mehr.

Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die FTAA als gigantisches Projekt, das die Hegemonie Washingtons über den gesamten Kontinent in geradezu totalitärem Ausmaß sichern soll. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob die sich formierenden demokratischen Gegenkräfte diesem Plan mehr als fromme Wünsche entgegenzusetzen haben. Die Auseinandersetzungen um die FTAA sind zudem eine wichtige Runde im Tauziehen um die neoliberale Ausrichtung der Weltwirtschaft, denn geplant ist nichts weniger als das weitreichendste Freihandelsabkommen der Welt: Die Regeln des 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko ausgehandelten Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) sollen auf den gesamten Subkontinent – mit Ausnahme Kubas – ausgeweitet werden. Damit würde die Position nordamerikanischer Firmen gegenüber ihren Konkurrenten aus Europa oder Asien entscheidend gestärkt.

Zentrales Credo bei FTAA: Exporte sind ein Wachstumsmotor. Dabei zeigt sich bereits jetzt, dass die Rolle der schwächeren Partner bei derartigen Abkommen vor allem darin besteht, als billiger Produktionsstandort und Absatzmarkt herzuhalten. In Mexiko gibt es heute dank Nafta 43 Prozent mehr „maquilas“ – Betriebe, in denen billige Arbeitskräfte, vor allem Frauen, Produkte für den US-Markt montieren – als 1993. Im selben Zeitraum hat sich die Produktivität der Montagebetriebe, die 97 Prozent ihres Materialbedarfs aus dem Ausland decken, um 44 Prozent erhöht. Die Löhne dagegen sind um 32 Prozent gefallen. Gleichzeitig sank die einheimische Produktion, etwa in der Landwirtschaft: Importierte Lebensmittel sind so billig, dass immer weniger Grundnahrungsmittel wie Mais, Bohnen, Reis oder Weizen in Mexiko selbst hergestellt werden. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen wurden so in den Ruin getrieben.

Zudem sollen im Rahmen von FTAA neue Regeln – etwa über Dienstleistungen oder die Rahmenbedingungen für Investitionen – aufgestellt werden. So sollten die Multis künftig insbesondere auf jenen Gebieten konkurrieren, die noch weit gehend in staatlicher Hand sind: im Erziehungs- und Gesundheitswesen, bei den Sozialleistungen und im Umweltschutz, im Kulturbereich oder bei der Strom- und Wasserversorgung. Große Firmen sollen ihre neuen „Rechte“ auch gegenüber der Regierung einklagen dürfen. Sollte diese nationale Betriebe begünstigen, müsste sie Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe befürchten.

Auf der anderen Seite haben die USA schon im Vorfeld des Gipfels von Québec klar gemacht, dass sie selbst zu keinerlei nennenswerten Konzessionen bereit sind. Importhindernisse und unilaterale Handelssanktionen soll es weiter geben. Über den Abbau von Subventionen der US-Landwirtschaft, wie ihn vor allem Lateinamerikas Agrarexporteure fordern, könne man schon verhandeln – allerdings nur im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO. Die Fakten sprechen eine deutlichere Sprache: Erst kürzlich hat der US-Kongress eben jene Subventionen kräftig aufgestockt.

Washingtons wichtigster Gegenspieler ist bisher die brasilianische Regierung. Außenminister Celso Lafer betont gerne, die südamerikanische Zollunion Mercusor sei für Brasilien „Schicksal“, die FTAA dagegen lediglich eine „Option“, die es erst ergreifen werde, wenn seine eigenen Interessen gewahrt würden. Doch neben dieser verbalen Kraftmeierei hat Brasilia den USA wenig entgegenzusetzen. Die finanzielle Außenabhängigkeit Brasiliens ist in den letzten Jahren eher noch gewachsen. Bei der nächsten Finanzkrise, so ein realistisches Szenario, könnten der Internationale Währungsfonds oder die US-Zentralbank ihre Hilfe von einem Einlenken Brasiliens bei den FTAA-Verhandlungen abhängig machen. Und bei einer Mobilisierung der Bevölkerung gegen das Projekt könnte leicht die Regierung selbst ins Visier geraten.

Auch wenn sich innerhalb der regierenden Eliten Lateinamerikas Unbehagen breit macht: Im Zweifelsfall lassen sie sich gegeneinander ausspielen, weil sie alle von Washington abhängig sind. Die Auslandsverschuldung der Region liegt bei 800 Milliarden Dollar; die soziale Krise hat sich nach einem Jahrzehnt neoliberaler Reformen noch vertieft. Samuel Pinheiro Guimarães, ein hoher Funktionär des traditionell US-kritischen brasilianischen Außenministeriums, sieht Lateinamerikas Regierungen „wie auf einem Schafott“ über die FTAA verhandeln und sprach aus, was Regierungsvertreter nur hinter vorgehaltener Hand zugeben: In seiner jetzt konzipierten Form bedeute das Freihandelsabkommen das Ende einer eigenständigen Handels-, Industrie- und Technologiepolitik. Für seine offenen Worte wurde er abgesetzt. Für den Ökonomen Luiz Gonzaga Belluzzo zielt das Projekt bestenfalls auf die kaufkräftigen oberen 30 Prozent der LateinamerikanerInnen, „die übrigen 70 Prozent werden weiterhin stumm in ihren Ghettos eingesperrt bleiben“.

Bisher fanden die FTAA-Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit und selbst der nationalen Parlamente statt. Doch nach dem Präsidentengipfel soll erstmals ein umfassender Entwurf veröffentlicht werden. Damit hat die bunte Protestbewegung, die seit Jahren gegen das Abkommen mobilisiert und in Québec den „zweiten Gipfel der amerikanischen Völker“ abhielt, ihren ersten wichtigen Erfolg errungen. Ähnlich wie auf dem Weltsozialforum von Porto Alegre arbeiten auch hier reformistische und antikapitalistische Kräfte zusammen.

Die schwächeren FTAA-Partner dienen den USA als billige Produktionsstandorte und Absatzmärkte

„Im Kontinentalen Sozialbündnis“ haben sich Gewerkschaften, soziale, Frauen-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen zusammengeschlossen. Sie lehnen die Prämissen der FTAA ab und fordern, dass in allen Ländern Volksabstimmungen organisiert werden sollen. In den kommenden Jahren wird sich die Bewegung weiter ausdifferenzieren: Um als Gesprächspartner von Regierungen und multilateralen Organisationen akzeptiert zu werden, muss sie einerseits konkrete und professionell ausgearbeitete Gegenvorschläge produzieren. Andererseits geht es darum, zu informieren und ihre soziale Basis zu verbreitern, denn bisher können die allermeisten AmerikanerInnen in Nord und Süd mit der FTAA nur wenig anfangen.

Die Dominanz der Vereinigten Staaten über Lateinamerika ist erst gut 100 Jahre alt. Seither definiert Washington die Beziehungen zu seinen Nachbarn im Süden über die so genannte Monroe-Doktrin, die zuweilen auf die etwas platte Formel „Amerika den Amerikanern“ gebracht wird. Die Bemühungen der kontinentalen demokratischen Gegenbewegung lassen dieses Motto auf einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen. GERHARD DILGER

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