die blumen des bösen:
von RALF SOTSCHECK
Nordirlands Friedensprozess war kürzlich in Gefahr. Schuld daran war eine Blume: Die IRA hatte Lilien in ihr Waffenarsenal aufgenommen. Mit Hilfe ihres politischen Flügels Sinn Féin hatte die Untergrundorganisation durchgesetzt, dass die subversive Pflanze in einen Blumenkübel im Belfaster Stormont-Parlament gepflanzt wurde – und zwar ausgerechnet neben der Statue von Edward Carson, dem Helden der probritischen Unionisten.
Die hielten die Invasion der großblättrigen Gewächse für eine hinterlistige Provokation. „Wir haben in der Vorhalle dieses Gebäudes ein Symbol des Terrors“, sagte Cedric Wilson von der kleinen Northern Ireland Unionist Party. Jim Wells von Pfarrer Ian Paisleys Democratic Unionist Party fügte hinzu: „Mit diesen Lilien soll derer gedacht werden, die sich mit ihren eigenen Bomben in die Luft gesprengt haben oder erschossen wurden, während sie terroristische Untaten begingen.“
Sinn Féin behauptete dagegen, Lilien seien das Symbol des gescheiterten Osteraufstands von 1916. Außerdem könnten die Unionisten ja orangefarbene Lilien züchten und sie am 12. Juli in Stormont pflanzen. Das ist der protestantische Nationalfeiertag, seit William of Orange 1690 seinen katholischen Widersacher und Schwiegervater James II. in der Schlacht am Boyne besiegte und die protestantische Thronfolge in Britannien sicherte.
Diesen Rat von Sinn Féin fand Jim Wells überhaupt nicht komisch. „Zum ersten Mal in der Geschichte des Vereinigten Königreiches wird ein Regierungsgebäude benutzt, um Symbole zur Schau zu stellen, die IRA-Terroristen ehren“, sagte er und stellte einen Antrag auf eine Notstandssitzung des Parlaments, bei der die Pflanzungsgenehmigung rückgängig gemacht werden sollte.
Die Debatte geriet zum Tumult und musste mehrmals unterbrochen werden, als Sinn Féin die Mohnblume ins Gespräch brachte, das offizielle britische Gedenkgewächs für die Toten beider Weltkriege. Der unionistische Abgeordnete Robert Coulter fragte entsetzt: „Können wir die Bedeutung der Lilie mit der Bedeutung der Mohnblume gleichsetzen? Nein, nein, nein, ich kann das nicht.“ Der Antrag auf Verbannung der Lilie wurde jedoch abgewiesen, weil Sinn Féin die Sache geschickt zur „Angelegenheit größter Priorität“ erklärt hatte. Greift eine Partei zu diesem Mittel, dann benötigt ein Antrag die Mehrheit sowohl der protestantischen als auch der katholischen Abgeordneten. Letztere schmetterten das lilienfeindliche Begehren einstimmig ab. Die Debatte gerate immer mehr zur Farce, stellte Cedric Wilson überrascht fest.
Der zuständige Ausschuss gewährte den Blumen des Bösen aber nur eine Woche der freien Blüte, in der die Abgeordneten ohnehin in den Osterferien waren – vorigen Samstag wurden die Lilien gepflückt. An Freiwilligen dafür mangelte es unter den unionistischen Abgeordneten nicht. Die Sicherheitskräfte sind erleichtert: Während die Terrorpflanze im Parlament blühte, mussten sie die Besucher nicht nur nach Waffen und Sprengstoff durchsuchen, sondern auch nach Unkrautvernichtungsmittel.
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