der homosexuelle mann ...:
von ELMAR KRAUSHAAR
... hat keinen Ort, keinen öffentlichen Raum, der ihm gehört, wo er geschützt ist und zu Hause. Die Subkultur zählt nicht, nicht die strengen Kneipen und Clubs und auch nicht die schummerigen Park- und Waldstücke für Sex und Tralala.
Dafür kennen schwule Männer ihre magischen Orte, deren Adressen nirgends notiert sind und doch weitergegeben werden von Generation zu Generation: Grabstätten zumeist, denen Kraft entzogen wird für ein ganzes neues Leben. Wie das Grab von Klaus Mann in Cannes oder das von Marlene Dietrich in Berlin-Schmargendorf, die Ruhestätte von Karl Heinrich Ulrichs im italienischen L’Aquila oder der Friedhof Père Lachaise in Paris. Trost finden dort an den Gräbern von Edith Piaf oder Maria Callas die verzweifelten Tunten, an dem von Oscar Wilde der urbane Gay und am Grabstein von Marcel Proust jene Oberschüler mit den wirren Haaren, die im dunklen Anzug kommen und auf dem Gesicht ein Lächeln tragen, das nur dem Toten gehört und dem hübschen Bettnachbarn aus dem Internat.
Die bayerischen Schwulen müssen viel laufen und hoch steigen, um an ihren Ort zu gelangen: Schloss Neuschwanstein. Das königliche Eigenheim hoch über der Pöllatschlucht ist jährlich Ziel für hunderttausende Touristen aus aller Welt, die wissen wollen, wovon Bayerns erster Popstar dereinst träumte. Die Schwulen aber verweilen am Bett von Ludwig II. und stehen still vor seinem imaginären Thron, um einem der ihren ganz nah zu sein, dem jugendlichen Monarchen mit dem Gardemaß, den dunklen Locken und dem irren Blick. Wie das junge Männerpaar, das sich am Ende der Besuchergruppe hält, innig miteinander kichernd, heimlich Hand in Hand, noch einmal sehnsuchtsvoll durchatmend beim Blick auf den königlichen Wintergarten, bis ein Trupp hechelnder Japanerinnen es gnadenlos weiterschiebt in die nächste kühle Pracht.
In den bayerischen Niederungen geht es weniger festlich zu für Homosexuelle. Gerade hat wieder einmal ein CSU-Politiker seine Verachtung für sie rausposaunt, ganz ohne Scheu. Der mögliche CSU-Kandidat für die nächste OB-Wahl in München, Aribert Wolf, hetzte auf einem Parteifest mit Blick auf den schwulen Stadtrat Thomas Niederbühl, dass ein einziger Schwuler in dieser Stadt mächtiger sei „als hunderttausende von anständigen Bürgern und CSU-Wählern“. Ein anderer aus der Partei, der schwule JU-Ortsvorsitzende Alex Poettinger, hat jetzt öffentlich Kritik geübt an Wolf und ihm „Peinlichkeit ohnegleichen“ vorgeworfen und Konsequenzen prophezeit: „So viel Dummheit gehört bestraft, und sie wird von den Wählern auch bestraft werden.“ Das will sich die Volkspartei nicht gefallen lassen und überlegt Poettingers Ausschluss. Dabei sollten die Christsozialen auf ihr bayerisches Erbe achten, ein Schwulenskandal könnte ihnen schaden. Ihren schwulen König lieben die Freistaatler schließlich noch immer, auch wenn sie sehr genau wissen, dass Ludwigs Leidenschaft dem juvenilen Bartwuchs seiner Untertanen galt und nicht den ausladenden Reifröcken österreichischer Prinzessinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen