: Casablanca liegt in Panama
In John Boormans Bond-Satire „Der Schneider von Panama“ führt eine Ehekrise zu politischen Weltverschwörungen
Da gibt es dieses Bild, mit dem für den Film geworben wird. Es zeigt Jamie Lee Curtis und Pierce Brosnan bis zum Hals im Wasser. Irgendwie hat die Einstellung einen abenteuerlichen Touch. Das Wasser strahlt in verwegenem Türkis, Brosnan hat seine Gesichtszüge auf 007-mäßige Lauer gestellt, und Jamie Lee Curtis wirkt nur angespannt. Vor wem oder was sind die zwei auf der Flucht? Zumal man mit dem Namen des Vorlagenautors John le Carré zumindest eine gute alte Agentenstory assoziiert.
Umso perplexer ist man, wenn man der Einstellung später im Film begegnet. Ein sonntäglicher Familenausflug samt Kind und Kegel! Während Papa mit den Kindern die Affen bestaunt, dreht Mama mit dem Besuch eine Runde durch den Panamakanal. Trotzdem ist man hier keinem Trompe-l’Oeil aufgesessen. Spannung ist da, sie wird nur völlig ungewohnt aufgelöst.
Zählt man die Ingredienzen des Films „Der Schneider von Panama“ auf, spricht auf den ersten Blick alles für einen klassischen Thriller: Da wäre der Agent ihrer Majestät (Brosnan) und das gewohnte spießig-inzestuöse Setting im englischen Hauptquartier. Mit dem Schauplatz Panama ist auch der Bezug zu tatsächlichen politischen Ereignissen geschaffen, dreht sich doch alles um die Übergabe des Kanals beziehungsweise den Kontrollverlust der USA. Es wird um Erpressung, Hochstapelei und eine Untergrundbewegung gehen. Der Schneider von Panama (Geoffrey Rush) gibt schließlich den Mittelsmann zwischen Agent und lokalen Drahtziehern, denn eine Anprobe bringt auch so manchen Einblick in politische Privatsphären mit sich.
Diese Figur und ihre maßgeschneiderten Anzüge sind hübsche Reminiszenzen der Klassiker des Genres. Wenn der Schneider mit seinen elegant aufgeblasenen Seidenkreationen das Bild betritt, müsste man es nur schwarzweiß einfärben und fände sich im Hitchcock’schen Rio aus „Notorious“ oder in Rick’s Café wieder. Auf das mythisch aufgeladene Casablanca nimmt der Film in seiner Darstellung der Gestrandeten aus aller Welt, die in fernen Winkeln wenigstens noch ihren Reibach machen wollen, bewusst Bezug. Wenn das Spiel mit solchen Referenzen auch noch rotzfrech von der Dialogebene aufgegriffen wird, gesellt sich zum Zitat auch dessen gleichzeitige Unterwanderung.
Womit wir bei Pierce Brosnan angekommen wären. Die Bond’sche Weltgewandtheit ist bei Boorman in korrupten Zynismus umgeschlagen, vielleicht auch Reflex der Unübersichtlichkeit politischer Machtkämpfe nach dem Kalten Krieg. Im Umgang mit dem anderen Geschlecht hat Brosnan endgültig jeden Charme abgelegt, kommt umgehend säuisch zur Sache.
Wie lässt sich jetzt der Familienausflug in das Geflecht aus Zitaten, Dekonstruktionen und Verballhornungen einbinden? Immer wieder steht in den Filmen von John Boorman ein mythischer Kampf im Mittelpunkt. In „Beim Sterben ist jeder der Erste“ müssen vier Ausflügler gegen die Naturgewalten und das Nichtzivilisierte antreten, in „Die Hölle sind wir“ wiederum tragen zwei Soldaten den Krieg zwischen Japan und den USA auf einer einsamen Insel im Pazifik aus. Auch wenn diese Filme im gewohnten Outfit des Abenteuerkinos daherkamen, Lee Marvin oder Burt Reynolds für die Rolle des Helden prädestiniert waren, ging es Boorman schon damals nicht um eine mythische Davidisierung seiner Figuren. Dieser Regisseur belässt es beim Kampf Mensch gegen Goliath.
Nicht anders ergeht es unserem Schneiderlein, der eine Weltverschwörung erspinnt, um eine selbst verschuldete Finanzmisere vor seiner Frau zu verbergen. Seine Lügenmärchen um ein Widerstandsprojekt (den Verkauf des Panamakanals an China) führen schließlich zur US-amerikanischen Invasion. Plötzlich sieht sich der Mann mit Kampfhubschraubern über Panama konfrontiert, die sich so schnell nicht mehr vertreiben lassen. Zugegeben, ein reichlich überzogenes Bild für den Ausgang einer Ehekrise, doch den satirischen Aspekt belässt Boorman beim Goliath (amerikanische Regierung, Geheimdienst und Militär), während der Schneider die Wandlung vom findigen Hochstapler zum armen Würstchen in Ruhe ausleben kann. Irgendwann bekommt seine Ohnmacht gegenüber der verselbstständigten Macht etwas sehr Reales. Spätestens dann versteht man auch das angespannte Gesicht seiner Frau, denn letztlich geht es in diesem Film auch um die existenziell ausgearbeitete Frage, wer den Kindern am nächsten Morgen das Frühstück macht. ANKE LEWEKE
„Der Schneider von Panama“. Regie: John Boorman. Mit: Pierce Brosnan, Geoffrey Rush u. a. USA 2000, 118 Min.
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