drogenbericht 2000: Zu viele Tote, zu wenig Reformen
Die Tonlage des „Sucht- und Drogenberichts“ hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Die Sirene ist einer nüchternen Bestandsaufnahme gewichen. Tabak und Alkohol bekommen mehr Aufmerksamkeit, und der Polizeiknüppel als Schreibhilfe hat ausgedient. Man spürt zwischen den Zeilen, dass es gelungen ist – da hat die Drogenbeauftragte Caspers-Merk Recht –, bestimmte Suchthilfen nicht mehr nur zu verteufeln und die ideologischen Grabenkämpfe deutlich abzumildern. Das alles ist erfreulich.
Kommentarvon MANFRED KRIENER
Dennoch: Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, eine echte Wende zu erreichen und die Zahl der Drogentoten endlich zu senken. Die Bilanz ist enttäuschend, der neue Anstieg der Todeszahlen deprimierend. Nicht nur Arbeitslosenziffer und Wachstumsprozente, auch die Drogentoten bleiben eine Herausforderung, an der sich Rot-Grün messen lassen muss.
Die meisten Junkies (fast 80 Prozent) sind in Privaträumen gestorben, vertrieben aus Park und Bahnhofsklo. Erinnern wir uns: Noch nie ist in Deutschland ein Drogengebraucher in einem Druckraum gestorben. Aber noch immer haben nur wenige Städte solche Räume. Dort wo es sie gibt, in Hamburg, Hannover, Frankfurt, Saarbrücken, sterben auffällig weniger Süchtige. Ausgerechnet in Berlin, der Hauptstadt der Drogentoten, gibt es jedoch keine Druckräume. Dafür sorgt Innensenator Eckart Werthebach, einer der letzten Drogenkrieger alten Schlages.
1992/93 wurde der Drogentod in einer Studie untersucht, viele Empfehlungen folgten. Doch kaum etwas davon wurde politisch umgesetzt. Wo bleiben systematische Schulungsangebote in erster Hilfe, wo die Ausgabe von Naloxon, das bei einer Überdosierung einen Junkie zurückholen kann? Die meisten Junkies sind nicht allein gestorben. Und ihr Tod kam langsam, wie ein tiefer Schlaf. Eine Intervention hätte helfen können.
Auch das Modellprojekt der kontrollierten Heroinabgabe in sieben Städten kommt nur langsam voran, muss durch Ethikkommissionen und wissenschaftliche Begleitforschung geschleppt werden. Warum geht das so unendlich zäh? Schließlich: Die lebensgefährliche Situation für Haftentlassene und Therapieabbrecher muss angegangen werden. Gerade der erste Schuss nach Knast oder Therapie ist häufig der letzte. Noch immer gibt es keine Programme für diese Leute. Wir brauchen nicht nur die Agrarwende. Auch in der Drogenpolitik warten wir noch auf den Durchbruch.
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