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Der Menschenfreund

Verführung für Globalisierungsverlierer: Mit seiner Band Spearhead hält Michael Franti die sozialkritische Tradition des R & B hoch – und stemmt sich weiter gegen den Zeitgeist

Jetzt, da die Popmusik die 80er-Jahre wieder entdeckt hat, das Zeitalter der Gier und des schnellen Geldes, die Ära von Ronald Reagan und des Pastellfarbtons, wirkt Michael Franti noch unzeitgemäßer. Der Menschenfreund aus San Francisco hat nach vier Jahren Pause eine neue Platte herausgebracht, die nicht umsonst und sehr trotzig „Stay Human“ heißt.

Diese Platte ist nichts weniger als ein Konzeptalbum. Die Pausen zwischen den Songs füllen Ausschnitte aus einem Radioprogramm, in dem die Geschichte eines fiktiven Justizirrtums erzählt wird. Am Tag der Hinrichtung werden in Berichten, Politikerinterviews, politischen Kommentaren, Höreranrufen und Liveschaltungen zum Außenreporter vor dem Haus des Gouverneurs, der dem Gnadengesuch schließlich nicht stattgibt, die Argumente zur Todesstrafe noch einmal exemplarisch ausgetauscht.

Zwischen diesem Gerüst beschwört Franti in Songs mit Titeln wie „Rock The Nation“ eine Welt, deren Schönheit „all the freaky people“ ausmachen, in der auch die Ausgestoßenen und Globalisierungsverlierer einen Platz finden mögen, eine Welt, in der Rassismus und Sexismus und ein weiteres Dutzend an Ismen nicht mehr existieren, kurz: Eine Zukunft, in der die allumfassende Liebe die Menschheit erfassen möge.

Das ist Soul, klar. Das klingt aber auch naiv. Und das ist es auch. Aber, wie gesagt, in diesen Zeiten kann ein wenig Menschenfreundlichkeit gar nicht schaden, sei sie auch noch so einfältig vorgetragen, wie es Franti teilweise tut. Die Hoffnung stirbt zuletzt, und bis dahin sollte man beim Kämpfen um seine Rechte wenigstens mit dem Arsch wackeln können.

Doch da liegt auch das Problem: So bewundernswert die Ruhe, so unerschütterlich die Nettigkeit von Franti auch ist, so unglaublich sein unverbrüchlicher Optimismus, diese Welt verbessern zu können, so sehr würde man ihm manchmal die gute alte Wut zurückwünschen.

Früher, als Bassist der Brachial-Crossover-Combo Beatnigs und anschließend als treibende Kraft des Noise-and-Politics-Kommandos Disposable Heroes of HipHoprisy, sägte der 1,99 Meter große Beinahe-Basketballprofi Franti mit Anleihen aus Industrial und Punkrock so vehement an den Nerven seiner Zuhörer, dass schnell klar wurde, dass man es hier nicht mit Partymusik zu tun hat. „HipHoprisy wollte den Leuten ins Gesicht springen“, hat Franti einmal erzählt, „Spearhead wollen verführen.“ So hören sich die meistens Songs von Spearhead aber auch problemlos weg im programmierten Mainstream-Radio, weil die Band arg souverän mit den zeitgemäßen Elementen einer satten R’-n’-B-Schaffe arbeitet.

Man wird sehen, welche Strategie erfolgreicher sein wird. Bis dahin darf sich Franti rühmen, als momentan Einziger die gesellschaftskritische Tradition von R & B hochzuhalten, wie sie Marvin Gaye und Sly Stone, Curtis Mayfield oder Gil Scott-Heron einmal repräsentierten.

THOMAS WINKLER

Heute ab 21 Uhr, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg

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