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Über den Unterschied von Kunst und Büro

In Anwesenheit des isländischen Botschafters weiht Wolfgang Müller heute die Berliner „Zweigstelle“ seiner „Walther von Goethe Foundation“ ein

von JANA SITTNICK

Er kennt sich aus mit Trockenfisch, Kleinvögeln, Fledermausfrequenzen und Geysiren. Er begründete 1980 die Westberliner Experimentalband „Die tödliche Doris“. Er initiierte vor drei Jahren ein privates Goethe-Institut auf Island. Er schreibt Texte über Elfen, bastelt Goethe-Perücken und hat bei „Vera am Mittag“ schon mal ein Lied gesungen.

Wolfgang Müller ist Künstler, Elfenexperte und Privatgelehrter, und er tut gern viele Dinge auf einmal. Manchmal will er „zehn Existenzen statt einer, um alles unterzubringen“. Leben und Arbeit sind stark von Müllers Leidenschaft für Island geprägt: Drei Monate im Jahr verbringt der Künstler auf der Polarinsel. Heute Abend weiht er in Berlin einen Ort der deutsch-isländischen Völkerfreundschaft ein: Im Sinne des „Kulturaustausches“ präsentiert er eigene künstlerische Arbeiten, Lehrmaterial über Island und fremde Gesänge.

Müllers „Zweigstelle“, mit der die Existenz seines „privaten Goethe-Instituts“ von Reykjavik fortgeschrieben werden soll, ist eine temporäre Installation – „wandelbar und metamorphisierend“. Aber sie ist kein Institut im üblichen Sinne. Den Namen „Goethe-Institut“ darf Müller für seine Aktionen nicht mehr verwenden, selbst wenn „Privat“ davor steht. So haben es die Anwälte des Goethe-Instituts Inter Nationes per Unterlassungsverpflichtungserklärung gefordert, mit dem Verweis auf den gesetzlich geschützten Namen und das Logo.

Ingimundur Sigfusson, der isländische Botschafter in Berlin, wird trotzdem kommen und die „Zweigstelle“ von Müllers „Walther von Goethe Foundation“ mit einer Ansprache eröffnen. Die Freude über Privatinitiativen, die den „deutsch-isländischen Kulturaustausch“ nach der Schließung des „richtigen“ Goethe-Instituts in Reykjavik vor vier Jahren weiterführen, ist groß. Und Müller ist es mit der Vermittlung ernst. Als er sich im Sommer 1998, „empört“ über die aus Geldmangel vorgenommene Schließung der Zweigstelle in Reykjavik, spontan zu einer Installation im Reykjaviker Kunstmuseum entschloss, ahnte er die Folgen nicht. Die Anwälte des Goethe-Instituts drohen mit Schadenersatzzahlungen bis zu 10.000 Mark „für jeden Einzelfall der künstlerischen oder geschäftlichen Verwertung des Namens“.

Dabei gab es in Reykjavik nie ein von Müller regulär betriebenes Institut. „Wir haben eine drei Jahre dauernde Performance im Kunstmuseum gemacht mit einem Telefon und Faxgerät, das über die Originalnummern des geschlossenen Institutes lief. Darüber empfingen wir Solidaritätsbriefe, dann kamen Leute und brachten ihre alten Möbel, Blumentöpfe und Deutschbücher mit.“ Müller, der gern mit konventionalisierten Wahrnehmungen und Erwartungshaltungen spielt, das Dargestellte zerlegt und zwischen gewohnten Bedeutungen neue Räume für die Fantasie freisetzt, bedauert, dass die Kulturverwalter „nicht den Unterschied zwischen Kunst und Büro begreifen“.

In seiner „Zweigstelle“ im „Frisör Beige“ zeigt er nun nachgebaute Eier eines auf windumtosten Klippen brütenden Vogels, die auf der einen Seite abgeflacht sind, damit sie nicht vom Felsen fallen. Und einen Holzkopf mit Schafhaar und Seidenschleife. Die Skulptur „Goetheperücke“ konnte Wolfgang Müller bereits an einen dänischen Kunstsammler verkaufen. Mit dem Erlös seiner Ausstellung will er die Publikation eines ins Isländische übersetzten Goethe-Textes finanzieren. „ ‚Die Metamorphose der Pflanzen‘ sind heute wissenschaftlich überholt“, gibt er zu, „aber sehr schön in der Art, wie Goethe die Wandlung beschreibt. So ähnlich ist auch mein Kunstprojekt, eine ständige Mutation.“

Wolfgang Müller bereist Island seit zehn Jahren, und er hat Menschen wie Erla Stefansdottir getroffen. Das „Medium“ wurde von der Bauverwaltung von Reykjavik beauftragt, Elfenkarten zu zeichnen. Beim Bau neuer Straßen wollte man die Wohnstätten der Zauberwesen nicht zerstören.

In „Blue Tit, das deutsch-isländischen Blaumeisenbuch“ versammelt Müller in volkskundlicher, zuweilen satirischer Form Informationen und Anekdoten über die Insel und ihre Menschen. Hier kann man über Windzauber, Rentierflechte und die Bedeutung der Angst lesen.

Müller hat keine Angst. Das nächste Mal, sagt er trotzig, wolle er als „Goethe selbst“ nach Island fahren, „damit alle begreifen, dass das, was ich mache, Kunst und Satire ist“.

Aufpassen sollte er da aber schon, dass es ihm nicht so ergeht wie der Goethe-Büste anno 1998 in Reykjavik. Die wurde nämlich von verärgerten Isländern kurzerhand ins Meer gekippt.

Heute Abend ab 19 Uhr findet die Eröffnung der „Zweigstelle“ im „Frisör Beige“, Auguststraße 83, statt

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