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cannnescannesDas neue Berlinale-Team stellt sich in Cannes vor

Provenzalisches Schäferbild mit deutschen Kulturschaffenden

Joachim Sartorius lümmelt sich mit einem Glas Rosé auf sonnenwarmen Terrakottastufen, Julian Nida-Rümelin trinkt entspannt unterm Rhododendron, und Dieter Kosslicks gelbes Cerutti-Jackett verschmilzt harmonisch mit einer ockerfarbenen Villenwand – provenzalisches Schäferbild mit deutschen Kulturschaffenden. In einem dieser tollen Hanghäuser, die man sonst nur von der Küste aus bestaunt, fand sie also statt, die Vorstellung des neuen Berlinale-Teams in Cannes. Irgendwie sollte ja alles ganz inoffiziell und halb privat sein, keine Pressekonferenz, sondern heiteres Herumstehen unter Palmen und im Zypressenhain. Statt auf den Duce-Balkon der toskanisch inspirierten 30er-Jahre-Villa kletterte der neue Berlinale-Leiter Dieter Kosslick also auf ein kleines weißes Plastikstühlchen, um in einer Mischung aus Business- und Pidgin-English ein paar Worte zu sagen. Über den Anlass: „We are all here to say nothing.“ Über Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin: „A very nice man.“ Über den neuen Forumsleiter Christoph Terhechte, mit dem er schon beim Hamburger Low-Budget-Filmforum zusammenarbeitete: „We know each other, we already had a lot of Krach.“ Über den alten und neuen Panorama-Chef Wieland Speck: „Very nice, too.“ Und natürlich über die nächste Berlinale: „New movies and new posters.“ Irgendwann erzählte Nida-Rümelin noch, dass es für die Berliner Filmfestspiele in Zukunft mehr Geld geben soll, ansonsten Gruppenfotos und friedliches In-den-Nachmittag-Hineintrinken. Das Ganze richtete sich vor allem an Filmanbieter, ausländische Presse war keine da, bis auf einen dänischen Journalisten, der dafür aber fast alle 200 Anwesenden interviewte.

Mit der Bummelbahn zurück nach Cannes, das inzwischen von Wochenendtouristen, Reisegruppen und hysterischen Hausfrauen überfüllt ist, die vor mindestens drei Hoteleingängen nach Emanuelle Béart schreien. Das Festival ist im Grunde seine eigene Parallelleinwand, ein unwirklicher Endlos-Loop aus verschwitzten Polizisten, umlagerten Limousinen und dem Arabopop aus den Autos der Provinzgockel, die beim Croisette-Cruising ziemlich uncool ihre Joints aus dem Fenster hängen lassen.

Der Film im Film im Festivalbunker ging derweil so moribund weiter wie er begonnen hatte – mit Geschichten von Tod, Krieg und Verlust. Der Iraner Mohsen Makhmalbaf schickt in „Kandahar“ eine junge Frau auf den Weg zu ihrer Schwester durch ein apokalyptisches Afghanistan. Sie begegnet verkrüppelten Minenopfern, geldgierigen Kindern und Leichenfledderern, wird ausgeraubt und im Stich gelassen. Ihre Eindrücke hält sie in Form einer großen Betroffenheitslitanei mit einem Diktiergerät fest. Ohne wirkliche Neugierde für Land und Menschen zeigt Makhmalbaf Afghanistan als Nummernrevue des Elends. Einmal humpeln hunderte von Krüppeln zu melodramatischer Musik und in Zeitlupe durch die Wüste.

Statt das Elend im Tonfall des Elends vorzuführen, benutzt der osteuropäische Film immer wieder die wesentlich wirksamere Waffe der Satire. Deshalb bleibt einem in Danis Tanović’ Kriegsgroteske „No Man's Land“ auch das Lachen im Halse stecken. In diesem ersten bosnischen Film, der jemals in einem internationalen Wettbewerb lief, verschlägt es einen Serben und einen Bosnier in einen Schützengraben zwischen den Fronten, aus dem sie, von beiden Seiten umzingelt, nicht mehr herauskommen. Großkotzige Machosoldaten, gelangweilte Unprofor-Generäle, eine Kriegsreporterin und ein hilfloser deutscher Minensucher – in Tanović’ Film kriegt jeder sein Fett weg. Einmal sieht man einen Soldaten der serbischen Seite kopfschüttelnd Zeitung lesen. „Echt fürchterlich“, sagt er, „was bei denen da unten in Ruanda los ist.“

KATJA NICODEMUS

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