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Konferenz der Purpurträger

Auf dem anstehenden Kardinalstreffen will Johannes Paul II. die katholische Kirche auf die Zeit nach seinem Pontifikat vorbereiten. Doch echte Reformen sind nicht zu erwarten

Der Bedeutungsverlust der Kirche im Norden wird die Kirchen Afrikas und Lateinamerikas stärken

Anfang kommender Woche wird sich die katholische Kirche in Rom wieder in jener Pracht zeigen, die sie aufgrund ihrer fast 2.000-jährigen Geschichte entfalten kann wie kaum eine andere Institution auf Erden. Angewidert von so viel Verschwendung in einer Welt der Armut und genervt von der ständigen Medienpräsenz des erzkonservativen Greises auf dem Papstthron, werden viele die bunten, archaisch anmutenden Bilder auf dem Bildschirm wegzappen. Wer jedoch Interesse an dieser Glaubensgemeinschaft hat, die seit Jahrhunderten versucht, die Lehre eines armen Wanderrabbiners zu erhalten und zu verbreiten, der wird das Treffen in der Ewigen Stadt mit Spannung verfolgen. Denn die Konferenz der Purpurträger wird die Zukunft der Kirche nachhaltig prägen.

Thema ist die Reform der katholischen Kirche. Im Speziellen werden die rund 180 Kardinäle vor allem um das Verhältnis zwischen der Zentrale in Rom und den knapp 2.500 „Ortskirchen“, also den Diözesen in aller Welt, reden. Was dabei herauskommen soll, hat der Präfekt der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, Anfang April in einem Zeitungsinterview angedeutet: Der Vatikan ist mit seinen immer noch mittelalterlichen, oder besser absolutistischen Strukturen kaum mehr fähig, die weltlichen Geschäfte für eine Milliarde Gläubige von Anchorage bis Wellington zu führen. „Wir müssen effizientere Methoden finden, um Kollegialität in der Kirche auszuüben“, so der als Reaktionär bekannte Kardinal.

Solche Worte überraschen – zumal aus diesem Mund. Denn „Kollegialität der Bischöfe“, das war ein Begriff, den das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) unterstrichen hatte. Es betonte damit, dass der Papst als Bischof von Rom im Kreis der anderen Bischöfe vor allem ein Primus inter Pares ist: trotz seiner Verantwortung für die Lehre der Kirche kein „Monarch der Bischöfe, sondern Diener der kirchlichen Gemeinschaft“. Das sagte Ratzinger auch, und der Grund für diese eher progressiven Äußerungen des sonst so konservativen Mannes ist wohl darin zu suchen, dass er die fast einhellige Empörung über sein letztjähriges Papier „Dominus Iesus“ unterschätzt hatte und seitdem eher wieder um etwas Ausgleich bemüht scheint. Die Schrift hatte allen protestantischen Kirchen schlicht ihr Kirchesein bestritten und die Ökumene so stark belastet, dass sich selbst der Papst genötigt sah, zumindest ansatzweise Schadensbegrenzung zu betreiben. Seitdem ist Ratzinger angeschlagen – aber immer noch einflussreich.

Nun ist die katholische Kirche weit davon entfernt, sich wirklich zu demokratisieren – und die Warnungen des Papstes im Vorfeld des Kardinalstreffens, wonach die Kirche „bekanntlich nicht den Kriterien der parlamentarischen Demokratie“ folgt, zeigt die Grenzen, die Johannes Paul II. ziehen will. Klar ist aber auch, dass dieses Treffen – wie schon die massenweise Erhebung von Bischöfen zu Kardinälen im Februar – dem Papst dazu dient, die Kirche auf die nahende Zeit nach seinem Pontifikat vorzubereiten. Karol Wojtyla will Altlasten der Geschichte abbauen, was etwa auch im Reigen der Entschuldigungen bei Juden und Orthodoxen deutlich wird. Deshalb rief er vor kurzem bei einer der Kardinalserhebungen auf dem Petersplatz die Kardinäle zur Mithilfe bei der Überwindung der Kirchenspaltung auf – und forderte sie sogar auf, über das Papstamt nachzudenken, das für andere Kirchen eine Schwierigkeit darstelle.

Ein wenig mehr Mitsprache der Kardinäle scheint also durchaus erwünscht. Es fragt sich jedoch, ob das ausreicht, um die Probleme, die die Kirche in Zukunft erwarten, besser lösen zu können. Zu diesen Problemen gehört etwa der Priestermangel vor allem in den reichen Staaten des Nordens – schon vor drei Jahren waren etwa 5.000 der 13.000 Gemeinden in Deutschland ohne eigenen Pfarrer. In einer Zeit der Säkularisierung ist dieser Priestermangel fatal: Wenn der Geistliche nur noch alle zwei, drei Wochen vor Ort einen Gottesdienst abhalten kann und kaum noch Zeit für seine Schäfchen hat, weil er gleich mehrere Gemeinden betreut, bestehen noch weniger Möglichkeiten, Vertrauen in die Kirche zu fassen und sie für wichtig zu erachten.

Ein zweites Hauptproblem der Kirche ist ihre Sexualmoral: Keineswegs durch die offensichtliche Erfolglosigkeit seines Feldzuges davon abzubringen, bezieht der Papst immer noch gegen Kondome selbst für Aidsinfizierte, gegen die Homo-Ehe und gegen die Antibabypille Stellung. Dieser abgehobe, religiös-philosophisch begründete Rigorismus ist der Mehrheit nicht nur der jungen Leute kaum verständlich zu machen. Sie werden abgeschreckt von einer Kirche, die sich öffentlich derart äußert – und hören deshalb selbst dann nicht mehr zu, wenn die Kirche andere Dinge sagt, die ihnen gefallen könnten: etwa in Sachen Friedensengagement, Kapitalismuskritik und Schuldenabbau für die armen Länder.

Ein drittes folgenreiches Problem der Kirche ist das Zölibat. Obwohl diese Regel erst seit dem 12. Jahrhundert besteht, klammert sich der Papst an sie wie an einen Glaubenssatz. Das Zölibat ist eine der Hauptursachen des Priestermangels, der die Gemeinden auszehrt – und ein Grund dafür, dass selbst Theologen jetzt schon öffentlich klagen, die Kirche verfüge nicht mehr über ausreichend qualifiziertes Personal, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Die erzwungene Ehelosigkeit der Priester ist umso ärgerlicher, als die orthodoxen Kirchen seit langem zeigen, dass man den Zwang aufgeben könnte, ohne dass die Ehelosigkeit gänzlich verschwände.

Der moralische Rigorismus des Papstes ist der Mehrheit der Katholiken kaum verständlich zu machen

Schließlich ist die Rolle der Frau in der Kirche dringend reformbedürftig. Denn die Katholikinnen müssen nach wie vor dienen, ohne mitbestimmen zu dürfen. Dass die Kirche eine Männerinstitution ist, schlägt zunehmend auf die nicht nur irdische Institution zurück: Anstatt Frauen wenigstens als Diakoninnen zuzulassen, wie es in der Urkirche möglich war, wird die Hälfte der Talente der Mitglieder einfach links liegen gelassen. Auch darauf ist der Glaubensschwund in den Länden des Nordens zurückzuführen.

Sind von dem Kardinalstreffen in Rom und einer möglichen Stärkung der Kardinäle Lösungsansätze zu erwarten? Viel Hoffnung gibt es nicht: Johannes Paul II. hat das Kardinalskollegium im Verlauf seines 23-jährigen Pontifikats nach seinem Gusto prägen können – durch die Berufung von konservativen Reformfeinden. Wenn überhaupt, dann sind von diesen Kardinälen Reformen bei den dringenden Problemen wie dem Zölibat, der Frauenordination und der Sexuallehre der Kirche nur langsam zu erwarten.

Immerhin sind jedoch beim letzten Schub von Kardinalsernennungen im Februar auch relativ liberale Gestalten wie Karl Lehmann oder Walter Kaspar Mitglieder des exklusiven Männerclubs geworden. Zumindest sie dürften Reformen einfordern. Eine Reform der Kurie, ein gewisser Abbau des römischen Zentralismus und Anstrengungen bei der Neuevangelisierung Europas erscheinen möglich.

Zu einer Lösung der großen Probleme aber wird man lange brauchen. Unwahrscheinlich, dass Europa so viel Zeit hat: Das Konzept der Volkskirche hat auf dem alten Kontinent keine große Zukunft mehr – eine Entwicklung, auf die sich kluge Leute wie der liberale Lehmann und auch sein konservatives Pendant Ratzinger gedanklich bereits vorbereiten. So stellte Lehmann jüngst das bisherige, recht reiche Angebot an katholischen Gottesdiensten und sozialen Einrichtungen der Kirche in Frage. Ratzinger beschrieb Ende vergangenen Jahres die Kirche der Zukunft auf dem alten Kontinent nur noch als eine „schöpferische Minderheit“ von „gläubigen Christen“.

Wen das schreckt, dem bleibt gleichwohl auch ein Funken Hoffnung, der nicht völlig abwegig ist: Der Bedeutungsverlust der Kirche im Norden wird die alles in allem blühenden Kirchen Afrikas und Lateinamerikas immer wichtiger machen. Der Glaube, der seit der Neuzeit von Europa in die neuen Welten in Übersee exportiert wurde, könnte bald von dort wieder zurück in unsere Breiten kommen.

Wojtyla will die Kirchenspaltung überwinden. Deshalb hat er sich bei den Orthodoxen entschuldigt.

Es gehört zur Ironie der (Kirchen-)Geschichte, dass gerade der jetzige Papst, der mit seinen konservativen Ansichten eine so große Mitverantwortung für den Glaubensschwund hierzulande hat, für eine solche Remissionierung des Nordens durch den Süden die Grundlagen geschaffen hat: Er hat das Bischofs- und Kardinalskollegium internationalisiert und immer mehr Männer aus Staaten der „Dritten Welt“ in diese Führungsriegen gelassen. Ihnen gehört die Zukunft.

PHILIPP GESSLER

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