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Mit angezogener Spaßbremse

Einen „Verlust des Ernstes“ beklagte ZDF-Intendant Stolte, und ARD-Chef Brender mag die „Spaßgesellschaft nicht mehr bedienen“. Was bei der aktuellen Debatte unter den Tisch fällt: Es soll auch so etwas wie intelligente Unterhaltung geben

von JUTTA HEESS

Mahnende Stimmen schallten in der vergangenen Woche durch die Medienlandschaft. Gesendet wurden die Warnsignale vom Mainzer Lerchenberg, besser gesagt: von den Mainzer Tagen der Fernsehkritik. Die Spaßgesellschaft stand auf dem Programm der bedenkenträgerischen Veranstaltung. Und Noch-ZDF-Intendant Dieter Stolte beklagte in seiner Begrüßungsrede den Verlust des Ernstes und der ernsthaften Beschäftigung mit der Wirklichkeit. Im Fernsehen wohlgemerkt. Und in der Tat: Eine Studie der Landesmedienanstalten kam gerade zu dem Ergebnis, dass Fernsehen in Deutschland immer mehr im Zeichen der Unterhaltung steht. Damit können aber mal wieder nur die Privaten gemeint sein. Denn die Öffentlich-Rechtlichen senden schon eine geraume Zeit mit angezogener Spaßbremse.

Vor kurzem erst meinte die Süddeutsche Zeitung, das Erste sei in der Unterhaltung das Letzte geworden. Und die Berliner Zeitung bescheinigte dem Zweiten ein „andauerndes Humordefizit“. Und da ist was dran: Klickt man auf der ZDF-Website auf die Rubrik „Unterhaltung“, erhält man ein übersichtliches Resultat.

Mit dem Show-Fossil „Wetten dass . . .?“ und Thomas Gottschalk, dem „großen alten Mann des ZDF“ (Harald Schmidt) und letzten Unterhaltungsstar des Senders, ist aber allein kein Spaß-Staat zu machen. Dekoriert wird dieses vermeintliche Samstagabend-Highlight mit Angeboten wie der Quizshow „ca$h“ mit Ulla Kock am Brink und „Jede Sekunde zählt“ – eine Gemeinschaftssache mit der „Aktion Mensch“ und Moderatorin Andrea Kiewel. Beide Sendungen stoßen auf schwaches Zuschauerinteresse. Wieso Johannes B. Kerners Gesprächskreis viel versprechend „JBK-Show“ heißt und auf der ZDF-Homepage in die Unterhaltungssparte eingeordnet wird, bleibt ein Rätsel der Programmmacher beziehungsweise des zuständigen Webmasters.

Insgesamt ist dem Zuschauer das Lachen eher vergangen. Und den Verantwortlichen beim ZDF auch – spätestens, nachdem die Lottoshow „Traumstart“ mit Michael Schanze wegen schwacher Quoten eingestellt wurde. Jetzt zieht ZDF-Unterhaltungschef Viktor Worms die Konsequenzen und nimmt bereits nach zwei Jahren den Hut – vielleicht, um in Thomas Gottschalks Produktionsfirma etwas mehr Gaudi zu haben.

Auch seine Vorgänger konnten die Zuschauer nicht wirklich begeistern und verließen den Sender ziemlich schnell in Richtung anderer Gagtorys: Fred Kogel ging nach 13 Monaten zu Sat.1, Axel Beyer nach drei Jahren zum Spezialisten für Extremunterhaltung Endemol. Ab 1. September steht der 51-jährige Manfred Teubner, bisheriger Stellvertreter von Worms, vor der großen Herausforderung, die ZDF-Showtreppen wieder zum Glänzen zu bringen.

Es liegt auf der Hand: Der „Kukidentsender“ (Ex-RTL-Chef Helmut Thoma über das ZDF) muss handeln – sonst laufen ihm die jüngeren Zuschauer endgültig davon. Aber auch im Ersten ist das Publikum 55 Jahre und älter. Und hier geht es genauso wenig lustig zu. Dabei kann die ARD mit Hans-Joachim Kulenkampff, Rudi Carell und Harald Schmidt auf goldene Zeiten echter TV-Unterhaltung zurückblicken. Heute fehlen die Entertainer und müssen, wie Jörg Pilawa, erst noch mühsam aufgebaut werden. Die Frage ist: Kann der Sat.1-Zögling, der ab 25. Juli dreimal wöchentlich eine Quizsendung moderiert, die hohen Erwartungen einlösen? Antwort a, b, c oder d?

Selbst Jürgen von der Lippe, vielleicht für manche noch ein letzter Dinosaurier mit Unterhaltungswert, verlässt den Sender und geht zu Sat.1. So bleibt auch der ARD nur noch die omnipräsente Ulla Kock am Brink mit ihrer „Lotto-Show“ und der Turnschuster Cherno Jobatey mit „Verstehen Sie Spaß?“ – die Frage ist Programm. Neu im eher seichten Unterhaltungsfernsee des Ersten schwimmt Reinhold Beckmann mit „Guinness – Die Show der Rekorde“. Hier werden zwar ganz ordentliche Quoten erzielt, doch mit diesem geringfügig modifizierten „Wetten dass . . .?“-Abklatsch hat die ARD die Show-Unterhaltung auch nicht gerade neu erfunden. Immerhin gibt es noch die lachenden Dritten: Hier hat der Zuschauer mit Sinn für Humor gelegentlich etwas zu lachen. Zum Beispiel bei „Zimmer frei“ im WDR oder – endlich auch mal etwas für die unter 35-Jährigen – bei der „Late Lounge“ im Hessenfernsehen. Ach ja, und im Hauptprogramm singt noch der „Musikantenstadl“ für das Stammpublikum – eine Veranstaltung, die mit viel gutem Willen bisweilen als Realsatire durchgehen könnte.

So viel zur Spaßgesellschaft in den Öffentlich-Rechtlichen. Ob ARD und ZDF aus Angst vor einer Endemolisierung des deutschen Fernsehangebots extra gegensteuern? „Wehret den Anfängen des TV-Totalitarismus“, scheint die Devise zu sein.

„Unser Auftrag als öffentlich-rechtlicher Sender besteht nicht in erster Linie darin, die Spaßgesellschaft zu bedienen“, erklärt ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Doch ohne moderne Formate werden die Zuschauer der ersten beiden Programme noch greiser. Man muss ja gar nicht unbedingt mit dem Trash der Privaten mithalten und eine Show erfinden, in der man Bärbel Schäfer und Stefan Raab im Girlscamp beim Lösen von Quizfragen zugucken kann.

Könnte es nicht auch mal wieder so etwas wie intelligente Unterhaltung auf dem Bildschirm geben? Damit würden ARD und ZDF ihren Auftrag sicher nicht verletzen. Kein Sender dieses Landes ist gezwungen, unbedingt und ausgerechnet auf der Reality-TV-Welle mitzuschwimmen. Die ja auch – seien wir mal ehrlich – nicht wirklich lustig ist. Vielleicht hat bald und endlich jemand eine bessere Idee. Auch wir gehen in uns.

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