piwik no script img

Mein erstes Mal

Wie ich gerade noch rechtzeitig vor dem Aufstieg St. Pauli-Fan wurde  ■ Von Heike Dierbach

Ich bin eine Trittbrettfahrerin. Opportunistin. Ein Schön-Wetter-Fan. Kannte doch kaum die Regeln. Hatte ja nicht mal braun-weiße Socken an. Und mein Schlüsselbund nur zufällig dabei. Ich hatte die Ekstase eigentlich nicht verdient. Als um 16.45 Uhr der Schlusspfiff ertönte, brüllte ein mir bis dahin unbekannter Teil meines Ichs: „Jaaaa! Jaaaaa! Gewonnen! Gewonnen! St. Pauli steigt auf!“ Da war ich seit vierzig Minuten Fußball- und St. Pauli-Fan.

Eigentlich hatten wir das Sonntagsprogramm schon absolviert. Waren schön kultiviert im Museum der Arbeit. Jetzt noch einen Kaffee trinken, schnell in die U 3 Richtung Sternschanze. Plötzlich ist die Bahn voll mit Leuten in braun-weiß. „St. Pauli, erklärt mein Begleiter, „wird auf dem Heiligengeistfeld übertragen.“ Ich erkundige mich ihm zuliebe, ob das Spiel wichtig ist. Entgeisterte Blicke von allen Seiten. Und ob es auf dem Heiligengeistfeld auch Kaffee gebe? Fünf Minuten später bahnen wir uns unseren Weg durch die Bierbuden. Wir ergattern einen Platz, von dem aus man immerhin die untere Hälfte der Leinwand sieht. Für mich macht das keinen Unterschied. Ich beobachte die Fans um uns herum, genieße die sommerliche Atmosphäre. Und dabei passiert es.

Es fängt an bei der ersten Ecke. Alle holen ihr Schlüsselbund he-raus – obwohl uns die Spieler doch gar nicht sehen können. Rührend! Ich krame mein Bund hervor und ertappe mich dabei, dass ich die nächste Ecke herbeisehne, damit ich mitklingeln kann. Die Ecke kommt – und zwei Minuten später das 2:1! Um uns brandet ein unvorstellbarer Jubel. Der bullige Mann neben uns wischt sich die Augen. Ich muss auch schlucken.

Wenn jetzt bloß nichts mehr schief geht. Wieso pfeift der Schiedsrichter denn jetzt den Freistoß für Nürnberg? Das seh' doch sogar ich, dass das kein Foul war. Dumme Sau. Wie lange noch, wie lange denn noch, bis zum Anpfiff? Ich klammere mich an dem Absperrgitter fest. Noch zehn Minuten. Noch fünf. Noch zwei. Jetzt ist die reguläre Spielzeit vorbei. Ich kann gar nicht mehr hingucken. Pfeif doch ab!

16.45 Uhr: Wir haben's geschafft!!!!!! Ich falle meinem Begleiter um den Hals, dann wildfremden Leuten, hüpfe auf der Stelle: „Nie mehr zweite Liga!“ Es ist mir egal, ob ich den Bierregen abbekomme, wen interessiert saubere Kleidung, mensch, St. Pauli hat gewonnen!

Später am Abend werde ich das erste Mal in meinem Leben Sportschau gucken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen