SCHRÖDER UND FISCHER BANGEN UM DIE STAATSSICHERHEIT: Murks und Moral
Was ist der Unterschied zwischen Gentechnik und Gaddafi? Zuerst zu den Gemeinsamkeiten: Johannes Raus Gen-Rede und das Theater um Gaddafis angebliches Terrorgeständnis haben beide die größte Hürde genommen, die die Mediendemokratie kennt – das Wochenende. Obwohl sie schon letzte Woche für Schlagzeilen sorgten, sind sie diese Woche noch nicht wieder tot. Was also ist der Unterschied zwischen Gentechnik und Gaddafi?
Bei Gen geht’s um Moral, bei Gaddafi um Murks. Damit ist das eine zwar wichtiger, das andere dafür lustiger. Was hat Gaddafi im Wüstenzelt dem Kanzlerberater Steiner gestanden? Was hat Botschafter Chrobog in seinem Fernschreiben aus Washington dazugedichtet? Und vor allem: Hat Steiner wirklich das neue Kanzleramt „das scheußliche Zelt von unsrem Chef“ genannt? (Das ist jetzt wirklich erfunden – falls Sie’s nicht gemerkt haben, Herr Chrobog.)
So weit, so lustig. Doch allmählich wird die Sache bizarr. Über die Wochenendklippe schaffte es die Saga nur, weil sie vom Kommunikations-Murks zweier Beamten zur Staatsaffäre hochgeschrieben wurde. Das Verhältnis zu den Amerikanern belastet – aah! Die Vertraulichkeit von Gesprächen der Regierungschef nicht mehr gewährleistet – ooh! Die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in Gefahr – uuh!
Verdunkeln da Wolken den Glanz von Schröder und Fischer, diesem Zwiegestirn am Firmament der deutschen Außenpolitik? Es gibt genau zwei Deutsche, die das befürchten: Schröder und Fischer. In ihrem Auftrag soll jetzt eine Truppe von Amateurkommissaren herausfinden, welcher Empfänger der Chrobog-Depesche auf das gute Stück nicht aufgepasst hat. Tatsächlich macht die Regierung damit aus dem Fall Murks einen Moralfall. Sie könnte akzeptieren, dass zwei Beamte einen eher belanglosen Fehler begingen. Stattdessen macht sich die Regierung das Geschwurble von der bedrohten Staatssicherheit zu Eigen. Aus lustig wird wichtig – wenn Schröder und Fischer der Fall Gaddafi jetzt um die Ohren fliegt, trifft sie die Schuld allein. PATRIK SCHWARZ
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