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Gefährliche Zwickmühle

Das neue Professoren-Dienstrecht wird die Hochschullehrerschaft verjüngen. Aber für jene jungen Wissenschaftler, die gerade habilitieren, gibt es kaum mehr Stellen. Die ersten verlassen das Land

von CHRISTIAN FÜLLER

Der Professor geht nach Amerika. Bernhard Debatin, derzeit noch Publizistikdozent an der Universität Leipzig, wird im Wintersemester an der Ohio University forschen und lehren. Die Koffer stehen bereit. Ende August landet der 43-Jährige mit seiner Frau und seinem eineinhalbjährigen Sohn in den USA. Am 1. September beginnt das Semester an der 28.000-Studenten-Uni in Athens, Ohio. Deutschland ade.

Anlass für den Bernhard Debatins Gang nach Übersee ist nicht die Liebe zum Heimatland seiner Frau. Der engagierte Hochschullehrer kehrt dem deutschen Wissenschaftssystem den Rücken. Aus dem Land treibt ihn ausgerechnet eine Reform, die dazu ausersehen war, den guten wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland zu halten: die Dienstrechtsreform für deutsche Professoren.

„Wir können uns nicht länger leisten, dass die besten Köpfe ins Ausland abwandern“, begründet Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) ihr Reformgesetz, das sie heute dem Kabinett zum Beschluss vorlegt. Darin enthalten ist die „Juniorprofessur“, die es auch 30-jährigen Promovierten ermöglichen soll, Lehrstühle zu erklimmen. Bislang sind „Nachwuchswissenschaftler“ im Schnitt 42 Jahre alt, wenn sie ihre erste Professur antreten – eine im Ausland bespöttelte Besonderheit des deutschen Hochschulwesens.

Doch die kleine Revolte gegen die Überalterung der beamteten Geisteselite hat einen Schönheitsfehler: Die Habilitation, diese oft acht Jahre währende Plackerei mit Thesen und Fußnoten, bleibt halb bestehen. „Die Leute, die derzeit im Habil-Prozess stehen, also die 35- bis 45-Jährigen, geraten in eine gefährliche Zwickmühle“, beschreibt Bernhard Debatin die Situation. Sie wissen nicht, was sie tun sollen: Die Habil zu Ende bringen – ohne deren künftigen Tauschwert im Wissenschaftsbetrieb zu kennen; oder die Habil bleiben lassen – und trotzdem gute zehn Jahre mehr auf dem Buckel zu haben als die nachrückenden promovierten Wissenschaftler.

Bernhard Debatin kennt die Zwickmühle nur zu gut. Seine wissenschaftliche Laufbahn verlief ziemlich geradlinig. Der hochbegabte Studienstiftler schloss die Uni 1988 ab, promovierte anschließend (1994) und durfte sich schon kurz darauf, mit Mitte 30, Professor nennen, Vertretungsprofessor in Berlin. Schon 1996 wurde er als C2-Professor nach Leipzig berufen. Debatin hat fleißig publiziert, er hat sich mit einem beachteten „distance learning“-Projekt in der Lehre engagiert, auch internationale Erfahrungen hat er gesammelt – nur die Habilitation schrieb er nicht fertig. Das ließ ihn die science community spüren. Mehrfach wurde seine Name aus Bewerberlisten getilgt – weil er die Habil nicht hatte.

Hochqualifiziert, aber formell keine Habil – damit steht der Medienethiker stellvertretend für eine Generation von Fifty-Fifty-Wissenschaftlern. Sie besitzen entweder nur eine halbe Habil oder sie haben sie ganz und können sie schwer verwerten. War die auch „venia legendi“ (Lehrbefugnis) genannte Habilitation in ihrer Reinform inhaltlich-methodischer Ausweis von wissenschaftlicher Qualität, so hebt ihre Halbierung vor allem ein Moment hervor: den Selektionscharakter. Ihre Erringung wird zum Roulettspiel. Die Dienstrechtsreform verschärft die Situation für jene, die am „zweiten großen Buch“ nach der Promotion sitzen.

Gesetzlich ist die viele hundert Seiten dicke Habil de facto bald abgeschafft. Aber die Fakultäten wollen sie weiterleben lassen. „Die jungen Leute sollten nicht zu fest daran glauben“, droht Alfred Kieser, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Fakultätentage, „sie müssten keine Habilitation mehr schreiben.“ Die Unis haben Bundestag und Wissenschaftsminister schon einmal ausgetrickst. Sie können die Habil gerne normativ schwächen – die Berufungslisten aber erstellen immer noch die Fakultäten.

Hinzu kommt, dass das finanzielle Konzept der Dienstrechtsreform auch noch die Sprungbrett-Stellen verplant. Um die künftigen W1-Stellen für Juniorprofessoren bezahlen zu können, werden die C2-Stellen ab 2002 sukzessive abgeschafft. „Die Reform wird damit auf dem Rücken der Habilitanden ausgetragen“, ahnt Bernhard Debatin. Warum? „Weil sich der Kreis der potenziellen Bewerber für erste Professuren stark erweitert – die Stellen für die Habilitierten aber gleichzeitig drastisch gesenkt werden.“ Zu Deutsch: Juniorprofessor können Habilitierte wegen ihres Alters nur im Ausnahmefall werden und C2-Stellen gibt es bald nicht mehr. „Lost Generation“ ist der selbst gewählte Titel einer Initiative von Nachwuchswissenschaftlern, und es spricht einiges dafür, dass diese Bezeichnung nicht falsch ist.

Auf eine Anfrage der PDS im Bundestag, wie die Bundesregierung mit der Halbe-Habil-Generation umzugehen gedenke, gab die Bildungsministerin ein gönnerhaft nichts sagende Antwort: „Eine angemessene Übergangsregelung“ sei vorgesehen, ließ Bulmahn wissen – und den Inhalt der Regelung offen. Weit wird es damit nicht her sein, denn ihre Beamten konnten (oder wollten) nicht einmal beziffern, wie viele Wissenschaftler das Problem betreffe. (Es dürften einige tausend sein.) Eine „Missachtung nicht nur des Parlaments“, schäumten die Postsozialisten, „sondern auch der legitimen Interessen junger WissenschaftlerInnen“. Debatin fällt dazu ein: „Die Dienstrechtsreform ist in ihrem Prinzip richtig – aber da, wo es um die 35- bis 45-Jährigen geht, hat sie ein großes schwarzes Loch: Eine Wissenschaftlergeneration fällt glatt unter den Tisch.“

Der Komunikationsmann Debatin hat sich seinen Reim darauf gemacht: Halbe Sachen sind keine Sachen. Die Habil hätte ganz abgeschafft werden sollen – samt einer klaren Übergangsregelung für die Habilitierten. Er befürchtet zudem, dass Bund und Länder wichtige Hochschulreformen schleifen lassen – etwa die Professionalisierung der Uni-Verwaltungen. Debatin hat seine Erfahrungen gemacht. Im März etwa veranstaltete er eine international besetzte Konferenz in Ohio. Die Mittel dafür, 8.000 Dollar, hat er schnell und unbürokratisch bekommen. Aber in Leipzig, wo sein Internet-gestütztes Tutorensystem sich bewährt hat und von anderen Unis kopiert wird, steht das bundesweit beispielhafte Projekt auf der Kippe – weil die Uni die 6.000 Mark für Tutoren nicht beibringt. In Athens, Ohio, tut man indes alles, um die Ankunft zu versüßen. Patricia, Debatins Frau, hat dort Aussichten auf eine Stelle. Die US-Uni, die einen guten Ruf in der Journalistik hat, aber kein attraktives urbanes Umfeld, weiß die künftigen Profs zu locken – indem sie auch deren Lebenspartnern Stellen anbietet. Also geht der Professor nach Amerika.

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