: Nachruf auf eine Agentin
■ Zum Tod der in Hamburg geborenen Ruth Liepman
„Nehmen Sie die Tram, Linie 6, bis zum Toblerplatz. Dort hole ich Sie ab.“ So schrieb sie mir, im August 1991, als ich sie erstmals in Zürich besuchte. Die Rede ist von der Literaturagentin Ruth Liepman. Nach mehreren unvergesslichen Begegnungen entwickelte sich eine dauerhafte Freundschaft. Ich arbeitete an einer Biographie über ihren Mann, dem aus Hamburg stammenden, schon 1966 verstorbenen Schriftsteller und Journalisten Heinz Liepman.
Ruth Lilienstein wurde am 22. April 1909 als Tochter jüdischer Eltern in Hamburg geboren. Hier besuchte sie das bekannte Lyzeum von Jakob Loewenberg, später die reformfreudige Lichtwarkschule. Ihr Jura-Studium an der Hamburger Universität schloss sie noch 1934 mit der Promotion ab. Doch in Hamburg konnte Ruth Lilienstein nicht bleiben. Als Gerichtsreferendarin hatte sie Berufsverbot erhalten, wie sie sagte, „zuerst einmal eher als Kommunistin denn als Jüdin“. Nach 1933 hatte sie sich am illegalen Widerstand gegen die Nationalsozialisten beteiligt, und nun floh die steckbrieflich Gesuchte nach Holland.
Als Mitarbeiterin des Schweizer Konsuls rettete sie vielen Verfolgten der Nazis das Leben. Wer erfahren möchte, wie mutig sie damals handelte, sollte Ruth Liepmans Erinnerungen Vielleicht ist Glück nicht nur Zufall lesen. Die deutsche Okkupation überlebte sie dank einer calvinistischen Arbeiterfamilie, die sie versteckte.
Nach der Befreiung kehrte sie nach Hamburg zurück und lernte dort Heinz Liepman kennen, der aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrt war. Mit ihm gründete sie 1950 in der Schlüterstraße eine Literaturagentur, eine im damaligen Nachkriegsdeutschland unbekannte Einrichtung. Seit 1961 hat die Agentur ihren Sitz in Zürich.
Schon in Hamburg war Ruth Liepmans Büro Treffpunkt für Autoren und Verleger, hier gingen Axel Eggebrecht und Heinrich Ledig Rowohlt ein und aus. Liepmans waren eng befreundet mit Alfred Andersch und Günter Weisenborn, mit Ida Ehre, Elsbeth und Herbert Weichmann. Der literaturvermittelnden Tätigkeit Ruth Liepmans verdanken deutsche Leser Autoren wie Mailer, Salinger und Malpass. Ihre Agentur betreut heute die Werke von Norbert Elias, Anne Frank und Erich Fromm, vermittelt unter anderem die Bücher von Gerhard Durlacher, Ida Fink, Magib Nachfuß und Alexander Tisma.
1992 verlieh die Stadt Zürich Ruth Liepman die goldene Ehrenmedaille. Ausdrücklich würdigte man sie als „deutsche Zeugin des unerschrockenen antifaschistischen Widerstandes“. Die „Gesellschaft für Exilforschung“ machte sie 1998 zu ihrem Ehrenmitglied. Die Stadt Hamburg fand weder Anlass noch Gelegenheit, dieser Frau die ihr gebührende Ehre zu erweisen. Am 28. Mai 2001 starb Ruth Liepman in Zürich. Wilfried Weinke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen