: Vor dem großen Sprung
Die belgischen Tennisprofis Justine Henin und Kim Clijsters sind gute Freundinnen. Das Finale der French Open aber kann nur eine von beiden erreichen. Wer das sein wird, entscheidet sich heute
aus Paris DORIS HENKEL
Sabine Appelmans ist in Paris für das belgische Fernsehen unterwegs. Ende Januar, nach den Australian Open, hat sich die ehemals populärste Tennisspielerin Belgiens vom aktiven Sport verabschiedet, und doch ist sie dieser Tage gefragt wie lange nicht mehr. Mit unermüdlicher Freundlichkeit und spürbarer Freude redet Appelmans, 29, über den Erfolg ihrer Nachfolgerinnen Justine Henin und Kim Clijsters, die heute auf dem Court Central um einen Platz im Finale der French Open spielen werden.
Und das ist eine Geschichte mit mehreren Dimensionen. Da ist zunächst der Umstand, dass aus einem kleinen Land mit kaum mehr als zehn Millionen Bürgern zwei junge Spielerinnen kommen, um die die Belgier nicht nur von mittelprächtigen deutschen Nachbarn, sondern auch von den Amerikanern beneidet werden: Schon jetzt steht fest, dass in der neuen Weltrangliste am Montag Henin und Clijsters unter den ersten zehn erscheinen werden. Appelmans war mal die Nummer 16, Dominique van Roost, die bis Ende letzten Jahres spielte, stand auf Rang neun, aber zwei aus Belgien unter den Top Ten, das ist eine ganz neue Qualität.
Im Land der Flamen und Wallonen gibt es zwei Tennisverbände. Henin trainiert im Zentrum der Association Francophone, Clijsters hingegen erklärt, sie habe mit all dem wenig zu tun. „Mein Vater hat immer alles für mich gemacht, da weiß ich nicht viel. Aber wir haben gute Anlagen in Belgien und viele junge Spieler.“ Leo Clijsters, ihr Vater, war als Fußballprofi 1988 in Belgien Spieler des Jahres und arbeitet heute als Trainer.
Justine Henin ist am 1. Juni 19 Jahre alt geworden, Kim Clijsters wird morgen 18, und damit zu Dimension Nummer zwei: Beide spielten schon als Juniorinnen im Kreis der Besten der Welt, beide sind seit zwei Jahren als Profis auf der Tour, und dass sie zum Hoffnungsvollsten gehören, was das Frauentennis für die nächsten Jahre zu bieten hat, ist schon eine ganze Weile bekannt. Kim Clijsters ist es deshalb, weil sie ein ziemlich komplettes Spiel mit harten, präzisen Grundschlägen, vor allem aber einen Siegeswillen hat, der dem ihres Freundes Lleyton Hewitt ähnelt. Justine Henin ist da schon leichter aus der Fassung zu bringen als Freundin Kim, doch dafür ist sie flink und schlägt die schönste Rückhand des Frauentennis. Dieser Schlag, eine glorreiche Ausnahme im Sammelsurium der Beidhänder, fällt jedem auf, der keine dicke Brille braucht.
Kim hat Justine zum Geburtstag einen schönen Pullover geschenkt – Dimension Nummer drei: Die beiden sind enge Freundinnen, sie verbringen bei den Turnieren viel Zeit miteinander, und das ist im Frauentennis unter gleichrangigen Partnerinnen aus der ersten Liga ganz gewiss nicht die Norm. Beide versichern, die Freundschaft werde im Halbfinale am Donnerstag nicht die geringste Rolle spielen. „Ob ich gegen Kim oder gegen eine andere spielen muss“, sagt Henin, „darauf kommt es überhaupt nicht an. Ich versuche immer alles, um zu gewinnen.“
Das klingt, wie manches was sie sagt, sachlich, ein wenig kühl beinahe und ganz so, als sei es zehnmal durchdacht. Kim hingegen klingt keck und unverkrampft, und ihre Äußerung zum Thema lässt zumindest die Ahnung zu, dass es nicht immer leicht ist, die freundschaftliche Verbindung zu ignorieren. „Wir sind Kolleginnen und Rivalinnen; es kommt nur darauf an, auf dem Platz einen Unterschied zu machen. Hinterher können wir dann wieder Freunde sein.“ Einmal, vor ein paar Wochen beim Turnier in Indian Wells, haben sie das Ganze schon probiert, damals gewann Clijsters in drei Sätzen.
Diesmal wird der Sieg so oder so nur ein Sprungbrett sein. Das Sprungbrett ins Finale, zum Spiel gegen Martina Hingis oder Jennifer Capriati. Die stehen sich zwar nicht so nahe wie Clijsters und Henin, können aber auch ganz gut miteinander und werden beide angetrieben vom Gedanken, zum ersten Mal diesen Titel in Paris zu gewinnen. Die Beste des kleinen Landes Belgien wird am Samstag beim Finale auf jeden Fall nur Außenseiterin sein. Doch das muss nichts heißen, denn von nun an ist alles möglich für die vertrauten Rivalinnen.¶
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen