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netzgeschichtenAls Grufti unter Teenies

Neulich kam es in einem Chatraum, den auch ich zu besuchen wage, zu einem kurzfristigen Themenwechsel. Jemand hatte mir eine Mail geschickt, die ich doch bitte sofort lesen solle. Ahnungslos bat ich um Geduld, weil ich ja nun erst noch das Mailprogramm starten müsse. *afk* also und „Mail-Client“ habe ich sogar getippt. Das hätte ich unterlassen sollen. Niemand in dem Chat wusste, was ich meinte, und ich war als Grufti entlarvt, der in diesem Leben das Internet nicht mehr begreifen wird. Echte Chatter haben keine Mail-Clients auf ihrem Computer, sondern einen Briefkasten im Netz, bei Yahoo, GMX oder Hotmail.

Der Vorteil liegt auf der Hand. Man muss nur ein neues Fenster des sowieso gestarteten Browsers öffnen und sieht sofort, wer etwas geschrieben hat. Dass ich mich erst daran gewöhnen musste, mit dem Browser zu chatten statt mit dem IRC-Client, der ebenfalls auf meinem betagten Laptop installiert ist, habe ich ebenso verschwiegen wie das Stöhnen des Prozessors aus dem letzten Jahrhundert, der nun Java-Applets in einem Megabyte schweren Browser verarbeiten muss, um die paar Bytes hin- und herzuschicken, aus denen der Inhalt eines Chats besteht. Noch mehr Blößen wollte ich mir nicht geben, zumal mich die Lektüre jener Mail davon überzeugt hat, dass es besser ist, wenn solche Texte nicht auf die eigene Festplatte geschrieben werden, jedenfalls nicht in einer für Laien zugänglichen Form (was ist ein Cache?). Mails zwischen Chatbekanntschaften haben häufig einen überaus privaten Charakter. Auf einem Windows-Computer, der unbewacht zu Hause herumsteht, sollten sie nicht gespeichert werden. Auf einem Server dagegen (was ist ein Server?), von dem niemand weiß, wo er steht, sind sie sicher aufgehoben und nur mit dem Passwort lesbar, das den Zugang zum Mail-Modul der Portalseite öffnet.

Nun mag ich meinen lokalen Mail-Client aber sehr. Der Abschied fällt mir deshalb schwer. Andererseits leuchtet mir ein, wie viel Zeit ich allein mit der tückischen Konfiguration dieses Programms verloren habe – Zeit, in der ich hätte chatten können. Der Briefkasten auf der Website ist mit drei Handgriffen eingerichtet. Es ist mir daher nicht gelungen, meine Chatbekannten von den Vorzügen meines Systems zu überzeugen. Außerdem entsprach diese Diskussion nicht ganz dem Hauptthema in diesem Raum. Wer wirklich in der neuen Zeit angekommen ist, interessiert sich nicht für die Computertechnik aus der Mailboxenzeit.

Mit leiser Wehmut habe ich dann doch noch einmal mein altes E-Mail-Arbeitspferd in Trab gesetzt und den wie immer übervollen Eingangsordner abgearbeitet. Ein bisschen getröstet hat mich dabei eine Mitteilung der „SuSE Linux AG“, wonach kommende Woche die Version 7.2 des Betriebssystems gleichen Namens ausgeliefert werde. Neben den Freunden der Open Source komme ich mir wie ein Teenager vor. Da kaum ein Internetkongress ohne lobende Erwähnung der frei zugänglichen Quellcodes von Linux abgehalten wird, erlaube ich mir ein wenig redaktionelle Werbung für die letzten Aufrechten vor dem Moloch Microsoft. Zu den Errungenschaften der Suse-Edition gehören zum Beispiel frei wählbare Bildschirmhintergründe, „vielfältige Musik-Applikationen“ und ein Virenschutzprogramm, das „mit allen gängigen Mail-Servern, zum Beispiel Sendmail“, zusammenarbeitet. Na bitte!

NIKLAUS HABLÜTZEL

niklaus@taz.de

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