piwik no script img

Für ein paar Bagger mehr

Erst die Wirklichkeit und dann die Arbeit: Was der Sicherheitsmann und ehemalige Betonfacharbeiter Horst Meyer und der Maler Daniel Richter miteinander gemein haben. Einige Randbemerkungen zur Berlin-Biennale und ihrem schönen Schein

von RICHARD RABENSAAT

Die Biennale brummt. Tausende von Menschen defilieren jeden Tag durch die Ausstellungsräume. Dort ist notgedrungen nur eine Auswahl aktueller Produktionen zu sehen. Nicht jeder Künstler, der etwas zu sagen hätte, kommt zu Wort. Und nicht jeder Besucher der Ausstellung teilt die Einschätzungen der Ausstellungsmacherin über das, was sich hinter dem Allerweltsmotto „Anteilnahme“ an Kunst verbirgt.

Horst Meyer ist nicht misstrauisch, wenn er das bunte Sammelsurium an Exponaten betrachtet. Als Sicherheitsmann muss er dafür sorgen, dass die ausgestellten Kunstwerke der Berlin-Biennale nicht abhanden kommen und niemand etwas in die Ausstellung hineinschmuggelt, das nicht zuvor kuratiert worden ist. Deshalb stand Meyer auch während des Aufbaus entspannt an der Rampe des Hintereingangs des Postfuhramts, rauchte seine Zigarette und beobachtete die vorbeiziehenden Maler, Installateure, Bildhauer und überhaupt die ganze Künstlerschar.

Der Name Daniel Richter sagt Horst Meyer nichts. Richter ist ein sehr erfolgreicher deutscher Maler, der allerdings nicht an der Biennale teilnimmt. Seit dem 20. Mai zeigt die Kieler Kunsthalle eine große Einzelausstellung von ihm. Für einen kurzen Moment kamen sich die beiden Männer trotzdem näher, denn Daniel Richters Atelier befindet sich im Postfuhramt. Auf dem Weg dorthin bat er den Wachmann während der Biennale-Vorbereitungen um eine Zigarette. Nachdem Meyer ihm Feuer gegeben hatte, trennten sich die Lebenswege der beiden wieder.

Meyer trägt Verantwortung für die hoch versicherten Kunstgegenstände, die einzelnen Künstler sind ihm erst einmal egal. Dass er während der Biennale mit den für ihn ungewohnten schöngeistigen Elaboraten in Berührung kommt, bereitet ihm keine Kopfschmerzen. „Nein, da hab ich keine Vorurteile, das schau ich mir ganz offen an“, bekennt der 37-jährige ehemalige Betonfacharbeiter. Mit Freude beobachtete er, wie eine asiatische Künstlerin ihre Installation aufbaute: „Die war richtig nett, wenn sie auch überhaupt kein Wort Deutsch gesprochen hat.“

Über Kunst, mit der Meyer auch in seinem früheren Berufsleben schon einmal in Berührung gekommen ist, hat er so seine eigenen Ansichten. „Als nach der Wende auf dem Bau Schluss war, bin ich Bagger gefahren“, erzählt er. Turmhoch sei der Kran mit der Abrissbirne gewesen, mit dem er der maroden Bausubstanz der untergegangenen DDR den Garaus machte.

Eines schönen Tages kam ein Künstler vorbei. Beim Anblick des riesigen, vielteilig zusammengesetzten Baugerätes geriet der in Euphorie: „Das sind doch alles einzelne Elemente, wunderbar. Wie diese ganze Energie zusammenwirkt, wie großartig diese verschiedenen Harmonien zusammenschwingen.“ Meyer konnte das nicht nachvollziehen. „Junge, das ist ein Bagger“, klärte er den Feingeist auf.

Aus einer ähnlich wirklichkeitsnahen Sicht der Dinge heraus malt wiederum auch Richter seine Bilder: „Ich arbeite nach der Realität, die glatte Oberfläche interessiert mich nicht“, erklärt er. Auf der Staffelei steht ein Bild, das Männer auf dem Dach eines Hochhauses in einer ostdeutschen Plattenbausiedlung zeigt. Es scheint, als wären drei von ihnen gerade damit beschäftigt, einen vierten herunterzustürzen. Zwischen den dargestellten Plattenbauten stapelt sich der Müll, die Fensterscheiben sind blind und die Passanten vor den Wohnblöcken wirken, als seien sie gerade aus Carpenters „Sie leben!“ entsprungen. Für Richter sind „das jetzt Sachen, mit denen auch meine Putzfrau etwas anfangen könnte“.

Die Bilder attackieren den Betrachter zwar brutal, bilden aber eine Wirklichkeit ab, die in den Nachrichten täglich präsent ist, wenn es wieder irgendwo in Deutschland rassistisch motivierte Angriffe auf Ausländer gibt. Deshalb hält Richter auch nichts vom schönen Schein: „Wenn Künstler ihren Elfenbeinturm verlassen und dann nur beim Design landen, interessiert mich das nicht. Ich will doch nicht die glitzernde Oberfläche mit meinen Bildern abbilden.“ Dennoch sind die großformatigen Darstellungen kilometerweit von all dem entfernt, was Berliner Realisten und Torhüter der neuen Sachlichkeit in ihren Vereinen als normgerecht akzeptieren würden.

Damit beschreitet Richter einen neuen Weg. Zwar war „das Malen“ für ihn immer Passion. Doch als er 1998 den wichtigen Otto-Dix-Preis erhielt, ließ der ehemalige Punk verlauten: „Für mich ist eine der größten Freuden des Nichtmalerdaseins die Freiheit von der Sklaverei; die Fähigkeit, mein ganzes Leben zu genießen, anstatt die Hälfte mit der Gier nach einer Leinwand zu verbringen und mir, sobald ich eine bemalte, zu wünschen, ich bräuchte es nicht zu tun.“

Seine damals gemalten Bilder allerdings bestanden aus wild verschlungenen und geschichteten Formen. Deren poppige Farben hätten seine Reinigungskraft wohl allenfalls an ein Amok laufendes Milchstraßensystem paranoider Auto-Lackier-Roboter erinnert. Dennoch behauptet Richter: „Das war auch eine Realität, diejenige von Farbe, Raum, Malerei-Diskurs.“ Selbst diese Aussage wirkt angesichts der Leinwände gar nicht einmal übermäßig großspurig.

Auch die Biennale schlägt sich mit dem Anspruch einfühlsam gefühlter Realität herum. Wenn die Zuschauer in den Kunst-Werken andächtig gläserne Autofelgen bestaunen, weist das auch darauf hin, dass Empathie im Sinne der Ausstellungsmacher manchmal nur viel Gefühl für das richtige Design bedeutet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen