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Dunedin the Brave

Das Goldfieber machte die Stadt an der Westküste Neuseelands reich. Schottisch bis ins Mark war sie immer schon. Die erste Universität Neuseelands wurde hier erbaut, architektonisch natürlich ganz nach dem Vorbild der Alma Mater in Glasgow

Es lieferte 14 Wochen später tiefgefrorene Lammhaxen in England ab

von FRANZ LERCHENMÜLLER

Unbeirrbar, wie es sich für einen wahren Dichter des Volkes ziemt, hat Robbie Burns seinen Rücken von der Kirche ab- und sein Gesicht den Kneipen zugewandt. Zu seinen Füßen, auf dem Octagon, dem zentralen Platz von Dunedin, an dem alle Straßen zusammenlaufen, sammeln sich lautstark hunderte junger Leute: Die Erstsemester der Universität unternehmen gemeinsam einen Orientierungslauf. Ansonsten geht das Leben an diesem Sonntagnachmittag seinen sehr gemütlichen Gang. Die Straßenbahn klingelt, Touristen wühlen im Informationszentrum in Schaffellpullovern, Liebespaare bummeln durch den Botanischen Garten und lassen sich in Kähnen über den Kanal staken. Die meisten der hunderttausend Einwohner der fünftgrößten Stadt Neuseelands aber sind zu Hause.

Robert Burns, der Bronzene, blickt leicht abwesend auf das Treiben, mit seinen Gedanken offensichtlich ganz woanders. Vielleicht sinniert er ja über die eigenartige Laune der Stadtväter von Dunedin, ausgerechnet ihm, dem schottischen Nationaldichter, ein Denkmal zu setzen – obwohl dies doch viel eher seinem Neffen, dem Reverend Thomas Burns, und dessen Mitstreiter, Kapitän William Cargill, zugestanden hätte: Schließlich waren sie es, die 1848 mit einer Gruppe schottischer Presbyterianer hier an Land gingen, in der Tasche den Plan einer Stadt, der dem Grundriss ihres geliebten Edinburgh soweit wie möglich nachempfunden war. Und „Edinburgh auf dem Hügel“ – „Dunedin“ auf Gälisch – nannten sie die kleine Siedlung, die sie anlegten, wo vorher nur ein paar Walfänger gehaust hatten und die zunächst beschaulich wuchs.

Aber dann! Robbie Burns beginnt zu strahlen. Knapp 13 Jahre später überstürzten sich die Ereignisse an der Bucht von Otago: „Ich schaufelte zweieinhalb Fuß Geröll beiseite und stieß auf herrlich weichen Schiefer. Darin funkelte das Gold wie die Sterne des Orion in einer dunklen, frostigen Nacht.“ Schrieb, überwältigt von der Wucht des Schicksalstreffers, Gabriel Read, der Goldgräber, der am 23. Mai 1861 am Oberlauf des Tuapeka River fündig geworden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte Dunedin 2.000 Einwohner – zwei Jahre später waren es zehnmal so viele: Goldsucher, die von den ausgebeuteten Claims in Kalifornien und Australien herbeigeströmt waren, Huren, Eisenwarenhändler, Bankiers. Binnen kurzem wurde das Städtchen zur lautesten, reichsten und größten Stadt Neuseelands.

An den wenigen Überresten der Goldgräberzeit im Otago-Gebiet führt der „Otago Goldfield Trail“ vorbei. Im Museumerinnern Pickel und Siebe, hydraulische Spülrohre und braunstichige Fotos an die große Zeit. Vom Band dröhnen Goldgräberlieder, und ein „Polyphon Nicole Frères, 1885 Leipzig, Austria“ aus einem der wohlhabenden Haushalte spielt noch in echt. Eine kleine Abteilung ist den Maori gewidmet, denen die weißen Siedler das Land abgeluchst und die sie in der Schlacht von Oraka 1864 vernichtend geschlagen haben. Eine andere den chinesischen Einwanderern: Sie kamen als billige Arbeitskräfte in die Minen oder siebten auf eigene Faust die bereits durchgespülten Erdhaufen noch einmal durch – und wurden immer noch fündig, sehr zum Unwillen weniger strebsamer Weißer.

Gold wurde rund um die Stadt gewaschen, Gold in der Stadt gehandelt, Geld blieb in der Stadt hängen, und die Stadt investierte: Steinhäuser und Ziegelbauten lösten die Holzbuden ab, Banken prunkten mit viktorianischen Fassaden, später wurden Parlamentsgebäude und First Church in neogotischem Stil errichtet. Und man leistete sich gar die erste Universität Neuseelands, architektonisch ganz nach dem Vorbild der Alma Mater in Glasgow. Ganze acht Jahre dauerte der Boom – dann war es vorbei mit dem schnellen Shilling, die Flussläufe waren erschöpft und lohnten nur noch die industrielle Ausbeutung. Dunedin aber hatte vorgesorgt und weiter gedacht. Um den Farmern im Otago-Hinterland neue Absatzwege zu eröffnen, war schon seit längerem geplant, zwischen Dunedin und Cromwell eine Eisenbahnlinie zu bauen. Als plötzlich 35.000 Menschen von den Goldfeldern kamen und verzweifelt einen Job suchten, nahm die Regierung von Neuseeland einen 10-Millionen-Pfund-Kredit auf und ließ Straßen, Brücken und Bahngleise anlegen – ab 1879 endlich auch in Dunedin. 1882 stach dort dann sogar das erste Kühlschiff in See und lieferte 14 Wochen später tiefgefrorene Lammhaxen in England ab – eine Weltpremiere.

Doch der Preis für Fleisch und Wolle verfiel und Neuseeland schlitterte in eine tiefe Depression. Geldmangel und auch Planungsfehler unterbrachen immer wieder den Bau der Zuglinie. Erst 1921 wurde der letzte Abschnitt der 235 Kilometer langen Strecke fertig gestellt.

Lächelt Robbie Burns etwa, trotz alledem? Warum nicht, kennt er doch die Fortsetzung! Vielleicht wandert sein Blick gerade die Stuart Street hinunter und fällt auf den Bahnhof. Der wurde von 1904 bis 1906 gebaut. Und steht als unübersehbares Signal, dass da bereits wieder ordentlich Geld wenigstens in einigen Kassen klingelte.

Der lang gezogene Bau aus grauem Basalt und weißem Kalkstein ist im flämischen Renaissancestil gehalten: vielfach gegliedert, bestückt mit Ziergiebeln, Arkaden, weißen Friesen und flankiert von zwei unterschiedlichen Türmen. Der Innenraum mit seinen bleigefassten Buntglasfenstern wirkt protzig, gemessen an seiner Bestimmung: Der reich ornamentierte Fußboden mit dem Logo der „New Zealand Railway“ besteht aus 725.760 Mosaikplättchen aus englischem Porzellan – „Royal Doulton“, um genau zu sein; weiße Kacheln, gelblicher Stuck und durchbrochene Geländer aus Eisen schmücken die aufgedonnerte Wartehalle.

Eine Weltpremiere: 1882 stach von dort sogar das erste Kühlschiff in See

Doch jetzt wird Robert Burns Geduld abverlangt. Vier Stunden lang muss er allein zurückbleiben. Denn vom Bahnhof aus rattert und ruckelt der „Taieri Gorge Limited“ auf das Hochplateau des Otago-Gebiets, eine nachgebaute historische Eisenbahn mit einer Diesellok und gelbbraunen Wagons, die mit viel dunklem Holz stilgetreu eingerichtet sind. Betrieben wird der Zug von einem Club älterer Eisenbahnfreunde. „Ruby“, mit ihren silbernen Löckchen und der liebenswürdigen Höflichkeit der Inbegriff einer schottischen Landlady, schenkt neuseeländischen Sekt aus, ihre Kollegin „Lorraine“, ebenfalls am Namensschild erkennbar, bringt Lunchpakete mit schottischem Shortbread, Lammfleischsandwichs und Möhrenkuchen.

Immer höher schiebt sich der Zug nach Norden ins Gebirge, nachdem die Industrieviertel von Dunedin und die sich anschließenden grünen Wiesen zurückgeblieben sind. Ginster, Farne, Kiefern und der gelb blühende Teebaum bedecken die Hügel. Auf gemauerten Aquädukten überquert der Zug zerklüftete Schluchten, pfeift sich durch Tunnel und rasselt über eine 47 Meter hohe stählerne Brücke. Wer will, kann sich auf der offenen Plattform den Fahrtwind um die Ohren wehen lassen oder während der Fotostopps ein paar Meter in die Felsen kraxeln. Zwischendurch kommen zwei Herren mit einem Wagen voll Souvenirs duch die Abteile: Das Basecap mit dem Logo für 23,5 Neuseeland-Dollar ist fast schon ein Muss. Schließlich erreicht die Bahn eine weizengelb ausgedörrte Hochebene, mit Schafen gesprenkelt wie Flusen auf einem Pullover. Tote Bäume ragen als graue Besen hervor. Alles Goldgräberland hier oben. An einigen Stellen mehrere Male Zentimeter für Zentimeter umgewühlt, aber davon erkennt man nach 140 Jahren nichts mehr. In Middlemarch ist nach 77 Kilometern Endstation, von dort geht es mit dem Bus zurück. Aber was ist mittlerweile in Dunedin geschehen?

Robert Burns’ Platz ist verwaist, der Mann verschwunden. Ist er etwa vor der Sonne geflüchtet, die heute ungebührlicherweise schon seit drei Stunden niederbrennt und das übliche heimelige Highlandwetter mit seinen pfeifenden Böen und klatschenden Schauern fast vergessen macht? Oder hat er eine Auszeit genommen? Sich einen Malt Whisky im „Robert Burns Pub“ genehmigt und sich dann der Touristengruppe um den Fremdenführer im Schottenrock angeschlossen? Der Dudelsackpfeifer spielte auf, man reichte Haggis, gefolgt von einem schottischen Dreigängemenü mit, na ja, neuseeländischem Wein, und zuletzt wurden Tartans vorgeführt, Schottenröcke, die, man höre, in Dunedin gewebt wurden. Scotland the Brave – nothin’ missin’.

Nein. Nichts davon hätte einen Mann wie Robert Burns so beeindrucken können, dass er freiwillig seinen Beobachtungsposten geräumt hätte. Dass aber, und das ist des Rätsels Lösung, ein Unhold, ein „lokaler Barde“ sich da unten unters Touristenvolk mischt und ganz ungeniert als „lebender Robbie Burns“ Verse minderer Güte vorträgt – das haut ja wohl den stärksten Poeten vom Sockel.

Reiseführer:Bruni Gebauer-Huy, Stefan Huy: „Neuseeland“. Vista Point 1999, 272 Seiten, 48 DM. – Joachim Fischer: „Neuseeland“. DuMont 2000, 414 Seiten, 39,80 DM. – Matthias Schellhorn: „Reiseführer Natur Neuseeland“. BLV 1996, 199 Seiten, 29,90 DMVisitor Information Dunedin 48, The Octagon, Dunedin, New Zealand,Tel. +64 34 74 33 00,Fax +64 34 74 33 11Fremdenverkehrsamt Neuseeland, Rossmarkt 11, 60311 Frankfurt, Tel. (0 69) 9 71 21 10, Fax (0 69) 97 12 11 13, info@newzealand.de www.purenz.com

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