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Frischer Wind für die Berliner Stuben

Zwanzig Jahre Grüne im Abgeordnetenhaus sind auch zwanzig Jahre Geschichte der Linken. Jetzt kommt zum zweiten Mal die Regierungsbeteiligung

Als sie ihre Einladungen verschickten, konnten sie noch nicht ahnen, was passieren würde. Im Rathaus Schöneberg feiern die Berliner Grünen heute den zwanzigsten Jahrestag ihres Einzugs ins Westberliner Abgeordnetenhaus – fünf Tage nach dem Bruch der großen Koalition und sechs Tage vor der mutmaßlichen Abwahl Eberhard Diepgens als Regierender Bürgermeister von Berlin.

Die Tage erinnern fast ein wenig an die Stimmung von damals, als die Alternative Liste (AL) mit neun Abgeordneten ins Parlament einzog, und – Ironie der Geschichte – ein CDU-Senat die regierende SPD unter Dietrich Stobbe ablöste. Damals wie heute sammelten Grüne Stimmen für ein Bürgerbegehren, damals wie heute ging es um Filz und Neubeginn, damals wie heute wurden linke Gespenster an die Wand gemalt.

Zwanzig Jahre Alternative Liste im Abgeordnetenhaus, das sind auch zwanzig Jahre Geschichte der Linken in Westberlin. Anders als in Westdeutschland galt die AL immer als linkes Sammelbecken, eine wilde Mischung aus K-Gruppen, Ökos und selbst verwalteten Nischenkapitalisten. Während in Baden-Württemberg über den Wertkonservatismus gestritten wurde, distanzierte sich die AL nicht einmal von Steineschmeißern. Während in der Bundespartei Gerd Bastian und Petra Kelly Menschenketten organisierten, hatten in Berlin „Aktionspolitiker“ wie Dieter Kunzelmann ihren Auftritt. Und hatte der nicht mit seinem Eierwurf auf Eberhard Diepgen den ersten Wurf getan für das Ende einer Ära, dessen Zeugen wir nun alle sind?

Das ist Vergangenheit, vorbei. Die Grünen, die in der nächsten Woche einen Übergangssenat mit der SPD bilden werden und bereits das Innen- oder Justizressort für sich beanspruchen, sind anders als vor zwanzig Jahren. Sie sind älter geworden, manchen sogar zu alt, haben Zuwachs aus dem Osten bekommen, allerdings nicht immer Zustimmung, haben sich ihrer Linksaußen entledigt, sind eine ganz normale Partei. Und wie bei jeder normalen Partei muss man die Frage stellen: Wo haben die Grünen die Stadt verändert? Wo hat die Stadt die Grünen verändert?

Das Westberlin des Jahres 1981 war eine kaputte Stadt. Hier standen Häuser leer, wurde in die eigene Tasche gewirtschaftet, demonstrierten „Berufsberliner“ Frontstadttauglichkeit und hielten über die Transitstrecken Verbindung zum Rest der Republik.

Und heute? Der Rest der Republik ist zwar inzwischen in Berlin. Doch zur Frontstadt taugt die Stadt, vor allem in ihren westlichen Bezirken, noch immer. Hat sich, trotz der Grünen, also gar nichts geändert?

Doch, hat es. Berlin ist trotz des Duos Diepgen/Landowsky offener geworden, liberaler, toleranter. Auch in die Berliner Stube wehte ein frischer Wind, nachdem mit dem Fall der Mauer und der Globalisierung die Fenster ein für allemal geöffnet wurden. Gleichzeitig sind die Grünen, die jahrelang für diese Öffnung gestritten haben, müde geworden, zerrieben zwischen einer großen Koalition, die sich tatsächlich wie Mehltau auf die Stadt legte, und einer neuen Konkurrenz namens PDS, die ihre eigene Müdigkeit erst noch vor sich hat.

Trotz Koalitionsbruch, trotz zwanzig Jahre Abgeordnetenhaus, in denen so mancher Ordnungsruf ertönte und so mancher Pullover gestrickt wurde, will deshalb keine richtige Freude aufkommen. Vielleicht liegt es ja daran, dass nicht nur die Berliner Kassen leer sind, sondern einem auch die Wiederauferstehung der Figur des Kalten Kriegers jede Illusion nehmen kann, diese Stadt könne zur Normalität kommen. Doch vielleicht ist sie das längst mehr, als es viele glauben mögen. Die Grünen hätten daran wahrlich nicht den geringsten Anteil. UWE RADA

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