: Kulturpolitik oder Kunst mit großem „K“
Besser in Kunst investieren als in Immobilien spekulieren. In der Hauptstadt, die entgegen anders lautenden Gerüchten nicht wegen ihrer drei Opern pleite ist, drängte sich das Publikum zum Bundeskongress „Kunst. Macht. Kulturpolitik“. Der Optimismus für eine neue Wertschätzung von Kultur ist groß
von SEBASTIAN HANDKE
Was für ein Timing! Da geht in der Bundeshauptstadt die Regierungskoalition in die Brüche, die Stadt ist pleite, und man ahnt schon, wo zuerst gespart werden soll. Der diese Woche noch amtierende Kultursenator streut selbst Gerüchte: die SPD, so Christoph Stölzl, wolle nach dem Putsch eines der drei Opernhäuser schließen. Zur selben Zeit wird in derselben Stadt über die Einrichtung einer Bundeskulturstiftung beraten, und Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer träumt davon, „wie zu Zeiten Willy Brandts Politik und Kultur wieder enger zusammenzubringen“. Findet deshalb auch noch der erste Bundeskongress zur Kulturpolitik statt? Es ist noch nicht allzu lange her, da hätte man eine solche Tagung kaum wahrgenommen, und wenn doch, wäre sie im Besitzstandsgezeter kulturpolitischer Lokalmatadoren zerredet worden. Die Zeiten haben sich geändert. Als man sich nun zum Bundeskongress „Kunst. Macht. Kulturpolitik“ traf, war der Andrang groß. So groß, dass am Ort des Geschehens, der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, Sitzkissen herangeschafft werden mussten.
Und dann ging es auch gleich los mit Donnerschlag: das asiatische Schlagzeugensemble bildete nur die Vorhut für das Ereignis Slavoj Žižek. Der slowenische Philosoph und Soziologe, vielleicht der letzte europäische Vorzeigeintellektuelle, war geladen worden, um einen der beiden einführenden Vorträge zu halten. Er hielt das Auditorium fest in der Umklammerung seiner immer weiter in finstere Tiefen spätmoderner Intimität führenden Assoziationsketten. Es war ein schicksalhaftes Gewitter, welches über die hereinbrach, die da arglos Platz genommen hatten: Schuberts Winterreise als Soundtrack für den Stalingrad-Feldzug, westlicher Taoismus als die paradigmatische Ideologie des Spätkapitalismus, die Amfortaswunde als Lacan’sches Objekt klein a, das Rauchverbot als faschistischer Neid auf den Genuss des anderen. Selten dürfte ein Redner mit ähnlichem Erfolg und erbarmungsloserer Konsequenz an Publikum und Anlass vorbeigesprochen haben. Keine Rede wirklich, eher ein akzentdurchsetzter Ausschnitt aus einem nicht abreißenden Stream of Consciousness – der Zuhörer sah sich ratlos in die Kaffeepause entlassen.
Glücklicherweise hatte sich Gérard Mortier zwischen Schlagzeug und Žižek geschlichen. Er stellte sich als dessen ganzes Gegenteil vor: gerade noch rechtzeitig kam er, sprach leise und eindringlich, um sogleich wieder zu verschwinden – wie von einem Windchen heran- und wieder fortgetragen. Ähnlich geräuschlos war er ja eben erst von Salzburg aus an Berlin vorbei ins Ruhrgebiet geweht, wo er die künstlerische Leitung der Ruhr-Triennale übernimmt.
Mortier darf mit Recht als der Beckenbauer der Festspielszene gelten: eine Lichtgestalt, der einfach nichts misslingen will. So war es auch diesmal. Er verstand es mit feiner Präzision in das breite Spektrum kulturpolitischer Dilemmas einzuführen: das Problem des Kanons (Kunst mit großem „K“), das Missverständnis von Kunst als Gedächtnis, das Bröseln des öffentlichen Raumes, Folklorisierung als Konsequenz von Globalisierung und Migration, Kunst als Markt- und Konsumware und dann die Neuen Medien, natürlich. So konnte man sich anschließend doch noch gut gerüstet in die thematisch ähnlich aufgestellten Foren und Panels verabschieden.
Sorgfältig vorbereitet worden war der Kongress von der Kulturpolitischen Gesellschaft, so etwas wie der Lobby der so genannten „Kulturschaffenden“. Als diese vor 25 Jahren in Hamburg gegründet wurde, gab es den heute mehr oder weniger verbindlichen Begriff von Kulturpolitik noch gar nicht. Im Reformklima der 70er war Habermas en vogue, an seinen Schlüsselbegriffen „Kommunikation“ und „Öffentlichkeit“ nahm man sich Orientierung und rief eine „neue Kulturpolitik“ aus. Es war, wie Oliver Scheytt, Präsident der kulturpolitischen Gesellschaft, stolz verkündet, der eigentliche „Beginn aktiver Kulturpolitik, um das ‚Bürgerrecht Kultur‘ zu verwirklichen“.
Die Lage dieses Bürgerrechts heute gäbe sicher ein feines Thema ab für Sabine Christiansen. Immerhin hat die Republik endlich ihren Kulturminister, dazu nun einen neuen Bundeskongress, und schon wittern die Kulturlobbyisten einen ähnlichen Aufbruch wie damals. Dazu besteht durchaus Anlass. Die Rettung der Buchpreisbindung ist die eine Erfolgsmeldung, die Novelle des Urhebervertragsrechts die andere. Bald schon hat der Kreative Anspruch auf „angemessene“ Vergütung, und ein verbindliches Ausstellungshonorar soll es auch geben. Und dann ist da noch die schon bald zu erwartende Einrichtung einer Bundeskulturstiftung. Die Zustimmung dazu will Staatsminister Julian Nida-Rümelin den Ländern mit einem Zweisäulenmodell abtrotzen: Während die Länder sich in Zukunft um die „Pflege des Erbes“ kümmern sollen (als hätten sie je anderes getan), investiert die Bundesstiftung 70 Millionen ins Zeitgenössische. Mit dem Subsidiaritätsprinzip lässt sich zurzeit halt alles verkaufen. Damit wird die Disharmonie von junger Kunst und musealer Pflege nunmehr zu einem strukturellen Phänomen. Das wird man wohl in Kauf nehmen müssen.
Von der Krise des Repertoires war viel die Rede auf diesem Kongress, vom neuen Publikum, das es jenseits der Bildungsbürgertums zu gewinnen gelte. Andere wiederum beklagten eine zu radikale Rehabilitierung der Popkultur und die Verbannung der Klassiker.
Am Ende ging es dann auch tatsächlich noch um die Künstler, und dafür hatte man sich in der Berliner Akademie der Künste verabredet, es ging ums Geld. Der Akademie-Vorsitzende György Konrád forderte die finanzielle Gleichstellung von Künstlern und Übersetzern mit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Dem konnten die als Künstler geladene Autorin Eva Demski und Prof. Ivan Nagel nur zustimmen. Deren Polemiken unterhielten das Publikum so gut, dass Demski sich mit einem „Ihr lacht zu viel“ zur Wehr setzen musste. Statt in überflüssige Literaturpreise solle das Geld besser in die Bildung gesteckt werden. „Die Kinder sollen lesen lernen, damit sie nachher meine Bücher kaufen. Und es ist nichts Obszönes, wenn man weiß, was vor einem war.“
Nagel sprach über Berlin mit bissigem Zorn: „Man müsste erst mal eine Vision davon haben, was eine Oper sein kann, bevor man darüber streitet, ob man drei davon braucht.“ Dann blamierte sich Baden-Württembergs Kulturminister von Throtha noch mit dem eifrig zitierten Nietzsche-Ausspruch „Politiker sind Sklaven des Augenblicks“, bevor sich Oliver Scheytt zum Abschluss darüber freuen durfte, dass es gelungen war, die Themen „sozusagen diskursiv“ zu besprechen.
Da war schon der eine oder andere alte Hut dabei. Doch der Optimismus, der ist neu und irgendwie auch ansteckend. „Kulturpolitik gestaltet, ob sie es will oder nicht. Und wenn dem so ist, dann ist es besser, diesen Anspruch auch geltend zu machen.“ So selbstbewusst sprach Nida-Rümelin auf der Abschlussveranstaltung, die den Titel trug: „Das schönste Theater macht immer noch die Politik“.
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