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Aufstand in Algier

1,5 Millionen Algerier demonstrieren in der Hauptstadt für Demokratie – Höhepunkt siebenwöchiger Proteste. Die Polizei setzt Schusswaffen ein

MADRID taz ■ Es war die größte Demonstration, die Algier je gesehen hat. Über 1,5 Millionen Menschen zogen gestern durch die algerische Hauptstadt. Die meisten von ihnen kamen aus der Kabylei. Zum Trauermarsch im Gedenken an die geschätzt 90 Toten der Unruhen der vergangenen sieben Wochen in der Kabylei hatte das Komitee der Gemeinden und Stämme der Berberregion, 110 Kilometer östlich der Hauptstadt, die Bürger nach Algier gerufen. Es sollte ein friedlicher Marsch für „Demokratie und Freiheit“ werden. Doch schon wenige Minuten nach Beginn der Demonstration kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

„Wir haben die Schnauze voll von diesem Regime“, skandierten die Teilnehmer immer wieder die Parole, die seit dem 18. April, als die Gendarmerie einen Gymnasiasten aus dem Dorf Beni Douala auf der Wache erschoss, alle Unruhen begleitet.

Am liebsten hätten die Demonstranten ihre Sprechchöre Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika selbst zu Gehör gebracht. Doch die Polizei verhinderte, dass der Marsch vom Platz des 1. Mai im Stadtzentrum hinauf in die Villenviertel Algiers zog, wo der Staatschef Residenz und Amtssitz hat. Mehrere tausend meist jugendliche Demonstranten versuchten die Polizeisperren zu durchbrechen. Sie warfen Flaschen und Steine und attackierten die Sondereinsatzkommandos mit Stöcken und Eisenstangen. Die Polizei reagierte mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und Tränengas. Der ganze Stadtteil versank in Gasschwaden. Am Nachmittag errichteten die Demonstranten rund um den Platz des 1. Mai Barrikaden aus brennenden Autoreifen. Ein Busdepot und zwei weitere Gebäude gingen in Flammen auf. Als Demonstranten in einer Autovertretung fabrikneue Fahrzeuge in Brand setzten, kam dann der Befehl an die Polizei, Schusswaffen gegen die Menge einzusetzen. Auch auf die Plünderung von Lagerhallen im Hafengelände antwortete die Polizei mit dem Einsatz von Schusswaffen. Angaben über tote oder verletzte Demonstranten gab es nicht.

Viele Demonstranten führten algerische Nationalfahnen mit sich. Immer wieder riefen sie Parolen zur Einheit des Landes und forderten eine echte Demokratisierung des Landes. Die Proteste haben sich längst über die Kabylei hinaus in andere Teile Algeriens ausgebreitet. REINER WANDLER

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