: Urteil: Lebenslanges Bradytum
Unter Hormonausstößen leidende Teenager, die auch im Alter immer Brady bleiben: Der Serienklassiker „Drei Mädchen und drei Jungen“, im Original „The Brady Bunch“, liefert Stoff für mehr als einen Film („Die Brady Familie 2“, 15.40 Uhr, Pro 7)
von HARALD KELLER
Es braucht nicht notwendig Warp-Antrieb und Borg-Implantate, um eine Kultserie auf Kurs zu bringen. Dem US-amerikanischen Fernsehproduzenten Sherwood Schwartz gelangen gleich zwei unsterbliche Serienentwürfe: In Deutschland kaum bekannt ist die an sinnfreien Szenen und blankem Blödsinn nicht darbende Sitcom „Gilligans Insel“, was insofern bedauert werden muss, als sie in US-Film- und Fernsehproduktionen nach wie vor gern angesprochen oder zitiert wird und manch gelungener Scherz mangels Vorkenntnissen verpufft.
Anders verhält es sich mit der Familienserie „Drei Mädchen und drei Jungen“, im Original „The Brady Bunch“, die zu ihrer Zeit, also Anfang der 70er, für die rechtzeitig Geborenen ein Pflichtprogramm darstellte.
Wie bei allen guten Sitcoms war die Ausgangsidee so simpel wie nahe liegend: Schwartz ließ den Witwer Mike Brady (Robert Reed), Vater von drei Söhnen, und die ebenfalls allein erziehende, ihrerseits mit drei Töchtern gesegnete Carol Tyler Martin (Florence Henderson) eine neue Ehe eingehen. So entstand eine mustergültige Großfamilie, die für beinahe jede Altersgruppe eine passende Identifikationsfigur bereitstellte. Das gesetztere Publikum erfreute sich am Wohlstand der Bradys, an ihrer beneidenswert harmonischen Ehe und am drolligen Treiben der goldigen Sprösslinge, die zwar ihre Stiefgeschwister gelegentlich ein wenig foppten, ansonsten aber keine gravierenden Verhaltensstörungen an den Tag legten.
Die ganz jungen Zuschauer fanden sich in ihren jeweiligen Altersgenossen wieder. Marcia und Greg Brady aber, die beiden Ältesten, waren dazu auserkoren und auch imstande, bei Teenagern, die unter den ersten Hormonausstößen zu leiden hatten, verstohlene Begehrlichkeiten zu wecken.
Welche Fantasien sich insbesondere mit Maureen McCormick, der Darstellerin der langmähnigen Marcia verbanden, verrät die Tatsache, dass noch in den 90ern im Internet aus der Luft gegriffene Gerüchte kursierten, wonach die Schauspielerin in die Pornobranche abgerutscht sei.
Für die Darsteller erwies sich die Mitwirkung an dieser Erfolgsserie als schicksalhaft, wenn nicht als Fluch: sie waren zu lebenslangem Bradytum verurteilt. Auf die von 1969 bis 1974 ausgestrahlte Originalserie folgten Bühnenauftritte, Specials und Fortsetzungen wie „The Brady Brides“, „A Very Brady Christmas“ und noch 1990 die kurzlebige Serie „The Bradys“.
Ein Kinofilm mit neuen Darstellern frischte 1994 den Kult wieder auf, denn Regisseurin Betty Thomas, die als langjähriges Ensemblemitglied von „Polizeirevier Hill Street“ selbst über Erfahrungen als Seriendarstellerin verfügte, gelang das Kunststück, den Serienentwurf mit seiner ungetrübten Lebensfreude und kunterbunten Popästhetik der Nyltest-Ära liebevoll zu ironisieren und dennoch intakt zu lassen.
1996 folgte „A Very Brady Sequel“, der in Deutschland unter dem Titel „Die Brady Familie 2“ nur auf Video veröffentlicht wurde. Das aktuell erschienene Leihvideo „Die Bradys – wie alles begann“ gewährt ergänzend einen Blick hinter die Kulissen der damaligen Serienproduktion. Matt Dorffs Drehbuch stützt sich auf die 1992 veröffentlichte Autobiografie „Growing Up Brady“ des Greg-Darstellers Barry Williams. Williams und der Serienerfinder Schwartz treten am Rande persönlich auf, werden aber in der eigentlichen Handlung von Schauspielern dargestellt.
Der Film hat keine spektakulären Enthüllungen zu bieten, verschweigt aber weder die unausgelebte Homosexualität Robert Reeds, der kurioserweise 1969 von einem Lokalblatt zum „Vater des Jahres“ gewählt wurde, noch die von ihrem Bildschirmimage abweichenden Frivolitäten Florence Hendersons und erteilt vor allem Auskunft, ob Barry Williams und Maureen McCormick mehr als nur geschwisterliche Gefühle füreinander hegten.
Dem Film zufolge herrschten auch hinter der Kamera familiäre Verhältnisse, was mit der Jugend der beteiligten Darsteller zu tun haben mag, sich zum Teil aber wohl auch der Diskretion des Autors verdankt. Zieht man zum Vergleich die Memoiren Burt Wards heran, der in der ähnlich erfolgreichen Serie „Batman“ den Robin verkörperte, verfügten populäre Seriendarsteller über nicht minder hingebungsvolle Fans als die Rolling Stones oder vergleichbare Schwerenöter. Allerdings gab es am Set von „Batman“ keinen väterlich hegenden Sherwood Schwartz und erst recht kein Klassenzimmer, in dem die Hauptdarsteller in den Umbaupausen unterrichtet wurden.
Auf dem Cover zum Video gesellen sich einige der damaligen Bradys zu ihren jetzigen Darstellern. Maureen McCormick fehlt, sie hat eine Familie gegründet, ist aber nach wie vor als seriöse Schauspielerin tätig. Als Marcia Brady allerdings tritt sie nicht mehr auf. Nicht mal mehr zum Spaß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen