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Dreiecksgeschichte auf sechs Levels mit anschließender Publikumsintervention: Die Probebühne des Theaters Strahl zeigt das Jugendtheaterstück „www.heroes.li“

Jugendliche, so hieß es früher gern, verbringen mehr Zeit vor dem Fernseher als in der Schule. Der medientechnisch fortgeschrittenere Aufschrei lautet: „Jugendliche verbringen mehr Zeit im Internet als in der Schule.“ In ihm artikuliert sich die Angst vor außer Kontrolle geratenen Kommunikationsformen und Gefährdungen durch rechte Ideologien.

Wie es wirklich ist, mit den Jugendlichen und dem Internet, erkunden zwei Theaterstücke. Das eine, „Age Sex Loc@tion“ vom britischen National Youth Theatre (NYT), war kürzlich im Podewil zu sehen. Das andere, „www.heroes.li – love in cyberspace“ von der TheaterFalle Basel, ist gerade auf der Probebühne des Theaters Strahl angelaufen. Beide haben die gleichen Anliegen: Sie wollen unterhalten und mit Jugendlichen als Akteuren deren Erfahrungen mit dem Medium Internet diskursfähig machen.

Die Wege hingegen sind unterschiedlich. NYT-Regisseur Paul Roseby lässt 17 Performer zwischen 14 und 21 Jahren ein schillerndes und sich rasant veränderndes Abbild gegenwärtiger Jugendkultur auf die Bühne stemmen. Die Kids setzen sich selbst unter Druck, erfolgreich, schön und vor allem neu zu sein. Nur kurz checken sie sich in überbevölkerten Chatrooms ab; sehr eng ist das Zeitfenster bemessen, in denen sie andere auf sich aufmerksam machen können. Sie gründen dot.coms, gehen auf Partys, bieten ihre Körper im Netz an oder basteln an der Karriere als Comedians.

Rory, Jay und Stuart etwa krempeln den gesamten E-Commerce um. Sie verkaufen Dinge, die gar nicht existieren. Die können nicht ausgehen; das Geschäft ist grenzenlos. Und so vertickern Rory, Jay und Stuart Londoner Luft in Tüten, die wahlweise als Gebirgs- oder Meeresluft angepriesen wird. Selbst eine Geld-zurück-Garantie ist eingebaut: Nur wenige abspringende Kunden würden sich trauen, einen Scheck der Firma „Bestiality, Up your Daughters Arse Incorporated“ einzulösen. „Age Sex Loc@tion“ steigert reale wie erfundene Situationen ins Absurde. Das Stück lebt von der Präsenz, der unüberschaubaren Masse und dem rotzigen Englisch der Darsteller.

„www.heroes.li“ ist da simpler gestrickt. Über sechs Szenen, hier „Levels“ genannt, entfaltet sich eine Dreiecksgeschichte. Marina und Yves sind ein Paar, Cathy ist Marinas Schulfreundin. Sie hat eine Chatroom-Affäre mit „Südwind“, der ab Level 3 für den Zuschauer Ives heißt. Beim Blind Date in Level 6 gibt es die allgemeine Auflösung. Marina fühlt sich hintergangen, für Cathy hat sich die bezaubernde Illusion als monströse Realität entpuppt, und Yves ist überfordert. Die Freundschaften der drei sind zerstört. Schuld daran ist das böse Internet?

Na ja, nun doch nicht. Nach einer kurzen Pause soll das jugendliche Publikum Interventionen im Spielablauf vornehmen, sodass wenigstens die eine Freundschaft, die andere Liebe oder vielleicht sogar das gesamte Beziehungsgeflecht gerettet werden kann. Erst spielen die Schauspieler nach Regieanweisungen aus dem Publikum die Szenen neu. Später gehen einzelne Zuschauer selbst auf die Bühne, um im Rollenspiel die Ereignisse umzuschreiben.

Nun könnte man einwenden, den Jugendlichen wird damit Leben als Spiel suggeriert, in dem man bei ungünstigen Entwicklungen einfach erneut auf „Go“ geht, aber damit wird man dem Experiment nicht gerecht. Denn die Akteure entwickeln Konfliktlösungsstrategien, erproben ihre Durchführbarkeit am eigenen Leibe und wägen auch noch die Vorteile der Liebe im Newton’schen Raum mit der im Netz ab. Klare Mehrheitsverhältnisse ließen sich übrigens nicht ableiten. TOM MUSTROPH

www.heroes.li – love in cyberspace: Theater Strahl Probebühne, Kulturhaus Schöneberg, Kyffhäuser Str. 23, 20.–22.6., 10 Uhr, 21.6. auch 19.30 Uhr

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