pampuchs tagebuch: Das Glück ist ein Westernstecker
Die Schweiz, zumal ihre Bergwelt, ist ein gutes Pflaster auf die Wunden des Zivilisationsmüden. Besonders geeignet ist das Unterengadin. An den aufgewühlten Fluten des oberen Inns, in sicherer Entfernung von Sankt Moritz, gruppiert sich da um das alte Scuol eine Landschaft, die zwar einerseits dem Postkartenidyll entspricht – nicht umsonst wurde hier in der Nähe auch mal „Heidi“ verfilmt –, andererseits aber doch genug Infrastruktur für Großstadtflüchtige bietet.
Hier verbringe ich meditative Tage bei Freunden, die neben der Kunst auch eine schön gelegene kleine Biogärtnerei direkt am Inn betreiben, in der sie von älpischen Blumen bis zu wohlschmeckenden Salaten viel Erfreuliches ziehen. Ich verdinge mich bei ihnen als Hilfsgärtner, was mir Gelegenheit verschafft, in manche Geheimnisse des Umgangs mit der Natur einzudringen, und mir daneben auch eine neue Beziehung zum Klima als solchem vermittelt. So gilt es, die zarten Pflänzchen vor den überraschenden Nachtfrösten zu schützen, die in diesem Frühjahr besonders heimtückisch immer wieder zuschlagen. Das heißt nach bereits getanem Tagewerk noch einmal eine Stunde dranhängen, um die Beete mit Platten, Fenstern, Planen oder Vliesen zuzudecken und damit die Pflänzchen so zu verhüllen, dass sie nachts nicht erfrieren. Jeden Abend stellt sich also die bange Frage, ob das Thermometer unter null rutscht.
Nun ist die Schweiz nicht irgendein Land, und niemand käme auf die Idee, zu sagen, sie sei aus der Welt. Zwar haftet den Preisen etwas Extraterrestrisches an – selbst Schokolade und Käse, heimische Produkte also, werden gehandelt, als stammten sie von der Rückseite des Mondes –, doch in anderen Dingen erweist sich das Land als mitten im europäischen Leben stehend. Das Fernsehen sendet dasselbe Formel-1-Rennen, die Zeitungen bringen neben dem Lokalen manches Internationale, und wer wollte, könnte auch unter www.meteo.ch im Internet fragen, wie es um die Nachtfröste steht. Im Prinzip ist die Schweiz laptopkompatibel.
Allerdings scheitert der Fremde zunächst an den merkwürdigen Schweizer Telefonsteckern, die es sonst nirgends auf der Welt gibt. Dafür aber gibt es in Scuol ein Internetcafé, das in einer „Glatscharia“ (Romanisch für Eisdiele) und dazu in einem der ältesten Häuser des Ortes untergebracht ist. Die Glatscharia ist eher für den E-Mail-Quickie geeignet, worauf auch der Preis von 4 Franken für die erste Viertelstunde hindeutet. Weitaus günstiger ist es, sich in eines der feineren Hotels des Ortes zu begeben, das Belvedere zum Beispiel. Dort bekommt man einen kostenlosen E-Mail- und Internetservice. Man muss kein Gast sein, seriöses Auftreten hilft aber. Am besten ist es jedoch, wenn man sich statt der Telefonstecker den Kabeleingang der einheimischen Telefone anguckt. Mit etwas Glück findet sich dort ein Westernstecker, den man mit dem Laptopmodem verbinden kann. Aber ist Glück wirklich ein Westernstecker?
Gärtnerisch gesehen bringt der Zugang zum Netz nichts. Die Meteo-Website wiederholt nur, was Zeitung und Fernsehen sagen. Weitaus genauer ist die Telefonwettervorhersage: schweizweit 1 62. Und nichts kann den erfahrenen Gärtnerblick zum Abendhimmel ersetzen. Mein Modernisierungsversuch ist an den Schweizer Bergen abgeprallt. Das ist gut so. Schließlich bin ich es ja, der etwas lernen will. Meine Gärtnerfreunde werden es noch eine Weile ohne Netz aushalten. Es gehört zu meiner Meditation, dass ich versucht bin, sie darum zu beneiden. Im Übrigen ist mein Laptop nach 5 Tagen Engadin zusammengebrochen. Ich tippe auf Nachtfrostschaden.
THOMAS PAMPUCH
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