UNGARNS AUSSENPOLITIK IST NICHT NUR FÜR DAS EIGENE LAND GEFÄHRLICH: Nationalkonservative Yuppies
Auf den ersten Blick ist das in Ungarn gerade beschlossene „Statusgesetz“ nicht ungewöhnlich: Den drei Millionen Auslandsungarn in der Slowakei, der Ukraine, in Rumänien, Slowenien und Kroatien werden zahlreiche Sonderrechte gewährt, darunter erleichterte Einreisebedingungen und Arbeitsgenehmigungen. Das ist durchaus verständlich, denn Ungarn hat es in der Geschichte besonders hart getroffen. Im Vertrag von Trianon (1920) musste es zwei Drittel seines Territoriums an Nachbarn abtreten; Millionen Menschen fanden sich damals auf einmal in neuen Staaten wieder – ein Vertrag mit Racheabsichten.
Die Sorge um das Wohlergehen der heutigen Auslandsungarn ist deshalb für die Regierenden in Budapest nur ein Vorwand für eine revanchistische Politik. Sie begründen das Statusgesetz damit, dass es eine Reparation für den Unrechtsvertrag von 1920 darstelle. Schlimmer noch ist allerdings: Im Auftrag der Budapester Regierung werden nun informelle Gremien in Ungarns Nachbarländern feststellen, wer Ungar ist und wer nicht, wer einen „Nationalbürger-Ausweis“ verdient und wer nicht. Die Kriterien, die dabei angewendet werden, erinnern fast an die NS-Rassegesetze.
Im Hintergrund der ungarischen Regelungen geht es um neue Arbeitskräfte. Die braucht das Land, weil die Ungarn langsam aussterben, wie Regierungschef Orbán kürzlich feststellte. Möglichst reine Ungarn sollen also ins Land geholt werden: Minderheiten-Ungarn ohne Raum für einen Raum mit immer weniger Ungarn. Die ungarische Regierung hat dabei alle Reaktionen aus den Nachbarländern ignoriert. Selbst die Aufforderung von EU und OSZE, Beratungen über das Statusgesetz mit den Nachbarländern abzuhalten, befolgte der EU-Anwärter Ungarn nicht. Nein, Ungarns Regierung geht den Weg zurück zur alten, historischen Erzfeindschaft mit seinen Nachbarn. Konsequent.
Ungarns Regierende aus der Bürgerpartei haben sich in den letzten zehn Jahren von radikalliberalen, antikommunistischen Jugendlichen zu jung-dynamischen Nationalkonservativen und Yuppie-Reaktionären gewandelt. Ihre liebsten Verbündeten im neuen Europa sind die Machthaber in Österreich und Italien. Gegenüber fast allen Nachbarländern schlagen Regierungschef Orbán und seine Parteifreunde seit langem nur noch arrogante und konfrontative Töne an – aus der Position von Nato-Mitgliedern und ihrer als sicher befundenen EU-Mitgliedschaft spielen die jung ergrauten Revolutionäre regionale Großmacht. Das ist ein gefährliches Spiel nicht nur für Ungarn.
KENO VERSECK
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