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Schöne Ferien von KATHRIN PASSIG

Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust, und sie heißen Statler und Waldorf. Der eine kann England nicht leiden, und der andere ist frankophob. Deshalb bin ich in die Bretagne gefahren, die aussieht wie England, nur besser, und sich anhört wie Frankreich, nur schlimmer. Zu loben ist an der Bretagne, dass sie an manchen Stellen Riven ähnelt. Riven ist das Nachfolgespiel zu „Myst“ und hat mich seinerzeit einige Wochen beschäftigt. Die dort verbrachte Zeit ist mir in lebhafterer und angenehmerer Erinnerung als viele reale Ferien; das Woanderssein wird ja weithin überschätzt. Mein Freund Jochen, der seine Urlaubsziele nach ihrer Ähnlichkeit mit „Monkey Island“ auszuwählen pflegt, sieht das vermutlich genauso. Verteidiger der Realität werden einwenden, dass einem solchen Urlaub allerhand fehlt, und das stimmt auch. Es fehlt der blasenwerfende Sonnenbrand, den sich nachtaktive Lebewesen unweigerlich am ersten Tag zuziehen. Es fehlt der stete Kampf ums Überleben: Wo schlafen? Was essen? Wie beides bezahlen? Und es fehlen die Eltern, die diese Nöte lindern, aber ab acht Uhr morgens in hemulenhafter Geschäftigkeit durchs Wohnmobil poltern und einen durch das Tragen von verspiegelten Sonnenbrillen und Radfahrerhandschuhen unter dem Sonnenbrand vor Scham erröten lassen.

Ansonsten hat ein am Schreibtisch verbrachter Urlaub alles, was man braucht, kostet fast nichts und trägt nicht nur die Handschrift kompetenter Grafiker, sondern ist vor allem lokalisiert: Anstatt töricht „ce . . . truc là“ und „parlez-vous Anglais?“ zu stammeln, kann man aus vier der Situation perfekt angemessenen Sätzen in wohl geformtem Einheimisch auswählen und bekommt für höchstens drei davon eins aufs virtuelle Maul. Nach dem geringen Markterfolg, der dem Versuch unserer Vorfahren beschieden war, die reale Betragne, die Normandie und noch so einiges mit deutscher Untertitelung herauszugeben, scheint mir das immerhin einer Überlegung wert.

Fremde Gegenden, so maulen die Frischluftfreunde weiter, sollten nicht bloß grafisch ausgefeilt sein, sondern bitte auch nach Urlaub riechen und schmecken. Diese Konditionierungen aber können ebenso gut zu Hause vorgenommen werden, und weder Meerbrise noch Pinienduft sind dabei erforderlich. So beschwört der Phenolgeruch eines besonders scheußlichen Desinfektionsmittels für Fußgängerunterführungen für mich stets wohlige Erinnerungen an einen Schottlandaufenthalt herauf, und mein privates Jugoslawien riecht nach einem vulgären Gesträuch namens „Maggikraut“. Ebenso sind meine Erinnerungen an Riven untrennbar mit dem Niveageruch meines reinlichen Mitspielers Georg verbunden, und beim Verzehr von Erdnussbutterbroten mit dünnem schwarzen Tee steigen die vogelgroßen Insekten, die stillen, rostenden Maschinen, die ausgestorbenen Hütten und alle Klippen, Höhlen und Buchten, die Inseln des Archipels Riven deutlich und greifbar aus meiner Tasse auf.

Ende des Jahres soll Teil 3 erscheinen. Meine Urlaubsplanung steht.

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