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„'Ne super Geheimsprache“

Langsam als Ressource erkannt und von Eltern bewusst gefördert: Polnischer Muttersprachunterricht in Hamburg  ■ Von Petra Schellen

„Schade, dass Muttersprachunterricht immer noch so stark mit Identität verbunden wird. Sinnvoller wäre es, Zweisprachigkeit schlicht als Ressource zu verstehen.“ Exakt den Kern des Problems trifft Helga Büchel, Referatsleiterin in der Hamburger Schulbehörde, wenn sie über polnischen Muttersprachunterricht für zweisprachig aufwachsende Kinder spricht: Zögerlich verhalten sich viele polnischstämmige Eltern, wenn es darum geht, die Kinder – über die zu Hause praktizierte Umgangssprache hinaus – zum polnischen Muttersprachunterricht anzumelden. Denn groß ist die Angst, den Kindern neue Ausgrenzungserfahrungen zu bescheren.

Schwierig gestaltet sich das Bekenntnis zur polnischen Kultur vor allem für Aussiedler: Explizit mit ihrer deutschen Herkunft konnten sie nach 1989 ihren Anspruch auf legale Einreise begründen – die Scheu, die Kinder jetzt ausgerechnet zum Polnischunterricht zu schicken, überrascht daher nicht. Doch mit dem Integrationsaspekt erfasst man nur einen Teil der Wahrheit, da diese Einwanderer faktisch selbstverständlich der polnischen Kultur verbunden sind und auch ihre hier geborenen Kinder oft zweisprachig erziehen. Das Selbstbewusstsein aber wächst nur langsam unter jenen, die – zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Status auch immer – aus Polen kamen.

Schwierig gestalteten sich 1997 deshalb die Bemühungen Marian Jonderkos, damals Sprecher von Zgoda (Eintracht), des Dachverbandes der Hamburger polnischen Vereinigungen, den Bedarf nach polnischem Muttersprachunterricht zu ermitteln. Eine umfangreiche Fragebogenaktion setzte Jonderko damals in Gang, „weil wir ja nicht ohne Zahlen an die Schulbehörde herantreten wollten“ – von der keinerlei Initiative ausging. Dabei leben 100.000 polnischstämmige Menschen in Hamburg; 19.000 von ihnen haben einen polnischen Pass. Resultate brachte die Umfrage allerdings auch ohne behördliche Unterstützung: Nach Abzug derer, die nichtstaatliche Konfessionsschulen besuchten, blieben rund 120 Interessenten übrig.

Zwei halbe Stellen wurden da-raufhin öffentlich ausgeschrieben und zwei Lehrerinnen eingestellt, die seit 1999 Kurse an acht Grundschulen betreuen: In Lurup, Bergedorf, Horn, Schnelsen, Eidelstedt, Borgfelde und Jenfeld liegen die Unterrichtsräume, welche die Schulbehörde anhand des angemeldeten Bedarfs auswählte.

Zwei Stunden versammeln sich seitdem je elf bis 15 Kinder zwischen acht und zehn Jahren in wöchentlichen Nachmittagskursen. Polnische Grammatik, Orthographie, Texte und Lieder werden eingeübt; auch gespielt und getanzt wird auf dem Schulhof, wenn das Wetter danach ist. „Das Niveau ist sehr verschieden in den Kursen. Dadurch müssen wir viel improvisieren, zumal wir nicht genug Schüler haben, um die Kurse aufzuteilen. Und wegschicken wollen wir natürlich auch niemanden“, berichten beide Lehrerinnen, die die Lehrpläne gemeinsam erstellen.

Eine Arbeit für die Zukunft tun sie, davon sind sie überzeugt. „Im Grundschulalter sind die Kinder am lernfähigsten. Außerdem können sie hier ein bisschen von dem nachholen, was sie zu Hause vielleicht verpasst haben“, sagt Mariola Strzyzewska. Denn manche polnisstämmigen Eltern sprächen leider kein Polnisch mit den Kindern, weil sie Angst hätten, dass ihre Kinder nicht richtig Deutsch lernen. Fatal findet sie diese Entwicklung, „denn wenn Mutter und Kind nicht spielen können, weil sie keine gemeinsame Sprache haben, geht ihnen eine wichtige Bindung verloren.“

Ein wesentlicher sozialer Faktor seien deshalb die Kurse, in denen die Kinder nebenbei auch Niveauunterschiede quer durch alle Altersstufen verkraften lernen: Jadwiga zum Beispiel ist schon 14 – eigentlich zu erwachsen für die Neun- bis Zehnjährigen, mit denen sie die Schulbank teilt. Aber sie kann am schlechtesten Polnisch lesen. Das wissen alle, und so hat sie wenig Chancen, sich über die Blödeleien der Kleinen zu erheben. Tut sie auch nicht, außerdem ist sie freiwillig gekommen, weil ihr jüngerer Bruder vom Kurs so begeistert war.

Martin wiederum hat, als er vor zwei Jahren erstmals in Bozena Blazejak-Klevers Unterricht kam, gar nichts verstanden. Sein Vater ist Iraner, seine Mutter Polin, Familiensprache ist deutsch. „Er hat gut durchgehalten“, lobt Bozena Blazejak-Klever, „und inzwischen kann er ganz normal reden und das meiste verstehen.“ Auch den Mitschülern erklärt die Lehrerin immer wieder, worin die Ursachen für mögliche Niveauunterschiede liegen. Eine subtile Toleranzübung, deren Teil auch ist, dass Martin eine halbe Stunde früher gehen darf, weil anderthalb Stunden Wenigverstehen einfach genug sind für den Zehnjährigen.

Der Lehrerin ist daran gelegen, den Kindern ein positives Gefühl für ihre Zweisprachigkeit zu vermitteln, sie stolz zu machen auf das, was sie schon können – etwa, wenn sie Memory bzw. Super Pamiec spielen und zu den Bildern die Begriffe vorlesen.

Spielerisch gestaltet sich auch der nachmittägliche Privatunterricht von Ewa Wisniewska-Cieciorowska in den Räumen einer Horner Grundschule. Sie hat sich sofort gemeldet, als Eltern vor vier Jahren in der Hamburger polnischen Zeitung Kurier nach Lehrpersonal suchten. „Es macht Spaß, die Kinder zu unterrichten“, sagt sie über ihre beiden Kurse, in denen sie je sechs Kinder zwischen acht und 14 Jahren unterrichtet. „Wenn der Unterricht morgen eingestellt würde, würde ich mir eine andere Möglichkeit suchen“, sagt auch der 14jährige Pawel. „Wir wollen schließlich mit unseren Großeltern reden können“, ist das unisono vorgetragene Motiv für die Teilnahme. Und ein bisschen stolz ist die zehnjährige Daria schon, dass ihre Musiklehrerin sie neulich gefragt hat, ob sie nicht mal dolmetschen könnte.

Und die deutschen Freunde? „Ach, die wissen gar nicht, dass wir Polnisch lernen.“ „Meine Freundin hat gesagt, sie will auch Polnisch lernen, dann können wir in Geheimsprache reden“, lauten die Antworten der Kinder, die spielerisch mit der Sprache umgehen, sämtlich drei- bis viermal jährlich nach Polen fahren und fast alle zu Hause Polnisch reden. „Unsere Eltern wollen das so, aber Deutsch ist leichter.“

Vier solcher Nachmittagskurse haben die Eltern selbst organisiert, weil in ihren Stadtteilen kein staatlicher Unterricht angeboten wird. Der Preis liegt bei zehn Mark pro Kind und Monat – lächerlich wenig angesichts des Enthusiasmus der ehrenamtlich arbeitenden Lehrerinnen. Unterrichtsmaterial bringen sie von privaten Polenreisen mit, weil deutsche Schulbuchverlage bis heute kein Lehrwerk für polnischen Muttersprachunterricht ediert haben.

Kostenlosen Unterricht bietet die Hamburger Polnische Katholische Mission, geleitet von Probst Jan Sliwanski, der in je dreistündigen Kursen sonnabends insgesamt 400 Kinder zwischen acht und 14 Jahren unterrichten lässt. Kapläne und zusätzlich engagierte Honorarkräfte betreuen 22 Klassen – elf vormittags und elf nachmittags, die, so Sliwanski, „jedem offen stehen, der auf polnisch religiös unterwiesen werden will. Wir haben einen klaren Auftrag von der katholischen Kirche, und deshalb fragen wir auch nicht, wer Aussiedler ist und wer nicht.“ Christliche Verantwortung erschöpfe sich schließlich nicht in frommem Gerede und Rosenkranzbeten, erklärt der Probst, der vor 28 Jahren aus Polen kam und überzeugt ist, „dass man mit der Jugend arbeiten muss, wenn die beiden Staaten in guter Nachbarschaft leben wollen.“

Anfangs waren seine Kurse eher spärlich besucht: Ganze drei Kinder erschienen, als er 1976 die Arbeit in Hamburg aufnahm – vielleicht, weil er ausschließlich Religion anbot, vielleicht auch, weil die Mundpropaganda noch nicht gegriffen hatte. Jedenfalls wünschten sich die Eltern bald zusätzlichen Sprachunterricht für ihre Kinder, und so umfasst der Plan inzwischen Religion, Kirchengeschichte und Polnisch. Und die Stimmung ist munter, etwa bei den Achtklässlern des Kaplans Walenty Cugier. Wer schon mal das berühmte Madonnenbildnis in Tschenstochau gesehen hat, fragt der junge Kaplan, und wer mal das Kreuz zeigen könne, von dem ein Schüler konsequent behauptet, es sähe doch eher wie ein „Plus“-Zeichen aus.

Weniger religiös geht es in der zweiten Stunde bei den 14-jährigen zu, die Jadwiga Marczak unterrichtet. Den Text eines englischen His-torikers über polnische Geschichte hat sie ihnen vorgelegt, und die Jugendlichen haben sichtliche Mühe, die Sprache ihrer Eltern wieder zu erlernen: Stockend lesen sie den Text vor, kaum gelingen ihnen die Zahlen, und wenn die Lehrerin wegguckt, sprechen sie sowieso deutsch. Ob sie später mal in Polen leben wollen? „Nein“, schreit die Menge. „Ja, vielleicht“, sagen einige. „Schließlich lebt die ganze Verwandtschaft dort.“ „Da verdient man besser“, lästert einer.

Antworten, die symptomatisch sind für den Konflikt dieser Jugendlichen, der sich wohl erst Jahre nach dem polnischen EU-Beitritt lösen wird: das Schwanken zwischen der emotionalen Bindung an das Land der Eltern und Verwandten einerseits und den beruflichen und finanziellen Aussichten andererseits. Noch ist der Trend zur Rückwanderung nur verhalten spürbar, noch fabulieren die Eltern nur vage über eine spätere Rücckehr nach Polen. „Aber die Jugendlichen wissen Vor- und Nachteile beider Länder sehr genau einzuschätzen“, berichtet Katarzyna Haase-Georg, eine der beiden Polnischlehrerinnen am Emil-Krause-Gymnasium, die als einzige deutsche staatliche Schule in Hamburg Polnisch als Abiturfach anbietet.

Die Auswanderungsentwicklung lässt sich hier anhand der Kursnachfrage verfolgen: Zwei Leistungs- und drei Grundkurse bot die Schule bis vor drei Jahren für jene Aussiedlerkinder an, die weniger als zwei Jahre in Deutschland verbracht hatten und durch den Polnischkurs die Pflicht-Fremdsprache abdecken konnten. Heute sind ein Leistungskurs und zwei Grundkurse mit jeweils rund 15 Schülern übrig, die zum Blockunterricht aus allen Stadtteilen anreisen. Dass die Nachfrage weiter sinkt, führt Katarzyna Haase-Georg aber nicht allein auf die gesetzlich geregelten Aufnahmebedingungen zurück: „Ich glaube, dass diese Möglichkeit des Polnischunterrichts hier in Hamburg immer noch zu wenig bekannt ist.“

Eine Tatsache, für die letztlich auch die Schulbehörde verantwortlich ist, die sich weder für die Bedarfsermittlung verantwortlich fühlte noch für die Propagierung des Angebots. Zu argumentieren, dass Muttersprachunterricht die Fähigkeiten in der Zweitsprache nachweislich verbessert, wäre hier fast schon zu platt. Vielleicht ließe sich bei den Verantwortlichen aber damit punkten, dass Muttersprachuntericht nicht nur zweisprachige Spezialisten hervorbringt, sondern auch echte Vermittler, deren Haltung sich nicht auf Vorurteile, sondern auf differenzierte Kenntnis beider Kulturen und ihrer Sprachen gründet.

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