eject: ARNO FRANK über elektrifizierte Barbaren
Wann fliegen die Amerikaner eigentlich zum Mars?
Eigentlich ist es ja egal. Sollen sie doch machen, was sie wollen, die US-Amerikaner. Sich die breitesten Ärsche des Planeten anfressen oder vorm Fernseher dahindämmern bis ans Ende ihrer Tage, God bless them. Weil aber das Volk jenseits des Großen Teiches immer schon weiter war als wir Zurückgebliebenen in Europa, lohnt der Blick auf das, was unsere Zukunft sein könnte: der Bildschirm.
In Blickweite zumindest jedes Amerikaners befindet sich heute entweder a) die Flagge, genannt old glory, oder b) ein Bildschirm, auf dem bestenfalls wieder old glory weht. Los geht’s am Flughafen, wo die An- und Ablug-Monitore in der Wartehalle verbissen mit identischen Bildschirmen konkurrieren, auf denen nichts als Werbung zu sehen ist – für den neuen Chrysler etwa, mit dem die Familie entspannt in den nächsten Urlaub fahren kann, weil die potenziell nörgelnden Kinder auf dem Rücksitz von einem Fernseher unterhalten werden.
Weiter geht’s in der langen, abgedunkelten Limousine, mit der wir in die Stadt gekarrt werden. Jämmerliche 74 Programme stehen da zur freien Verfügung, und kaum haben wir uns dort durchgezappt, sind wir auch schon da. Im Hotelzimmer, wo wieder zwei Fernseher lauern, diesmal mit Pay TV und einem Einkaufssender, für den eigens eine Tastatur beigelegt ist. Rasch raus auf die Straße also, ins pulsierende Leben, auf Kreuzungen, zu denen uns haushohe Bildschirme leuchten, auf denen – wir ahnen es – Werbung für tragbare Fernsehgeräte gemacht wird. Rasch rein dann eben in die ehrwürdige „Kennedy Library“, wo – wir ahnen es schon wieder – auf zahlreichen Bildschirmen das verdienstvolle Leben des telegenen Präsidenten ausgebreitet wird.
Um zu vergessen, zu verzeihen, besuchen wir abends diesen angesagten Club, wo uns – gottverdammtnochmal – auf dem Klo, über dem Pissoir, schon wieder coole flat screens über andere angesagte Clubs informieren.
Neil Postmans berüchtigte Prognose, unsere Spezies amüsiere sich zu Tode, muss nicht zwangsläufig zutreffen. Es reicht, wenn es die Amerikaner tun. Einstweilen aber trägt das televisionäre Entertainment eher Sinn stiftende Züge: Wohin wir auch reisen, haben Kino und/oder Fernsehen den Ort bereits beglaubigt: „Hier wurde ,Der Sturm‘ gedreht!“, heißt es dann, oder „An diesem Strand drehte Spielberg ,Der weiße Hai‘!“. Selbst in der Ruhmeshalle von Harvard, wo die Namen der Bürgerkriegstoten in Marmortafeln graviert sind, verweist der Führer auf die TV-Produktion „Glory“: „Das hier ist der Typ, den Matthew Broderick gespielt hat!“
Wann, ihr lieben Amerikaner, fliegt ihr eigentlich zum Mars? Lasst euch ruhig Zeit damit und bereitet euch gut vor. Aber wenn ihr es tut, fliegt doch bitte alle zusammen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen