rund ums berliner eishockey: Die Preußen sind tot – und die Eisbären jetzt alleine
Weinen, trauern, leiden
Schweigend saßen die Eisbären im Halbkreis um die kleinen Preußen herum – der Schock hatte ihnen völlig die Sprache verschlagen. Ein paar von ihnen weinten, andere starrten nur stumm und unendlich traurig in den klaren arktischen Himmel: Wie hatte das nur passieren können? Erst langsam begriffen sie das Unfassbare, und eine entsetzliche Furcht begann sich in ihre Herzen zu senken: Wohl noch nie in ihrem Leben hatten sich die Eisbären derart alleine gefühlt.
Der dicke Eisbär mit dem Pferdeschwanz beugte sich über einen der kleinen Preußen und leckte ihm zögernd das Gesicht ab – ein allerletzter Liebesdienst. Dicke Tränen tropften auf das Gesicht der tiefgefrorenen Leiche und ließen es merkwürdig lebendig aussehen, doch der Preuße war mausetot: Soweit die Eisbären inzwischen rekapitulieren konnten, musste er betrunken vom Dach seines Iglus gefallen und mit dem Dorn der Pickelhaube kopfüber im Eis stecken geblieben sein. Ob der Tod dann durch Verhungern, Erfrieren oder Blutstau im Hirn eintrat, wollte im Grunde keiner so genau wissen.
Sie selbst waren zum fraglichen Zeitpunkt drei Tage fort auf der Jagd nach Fischstäbchen gewesen und hatten den kleinen Mann erst bei ihrer Rückkehr gefunden – lediglich einen Meter von der rettenden Iglu-Tür entfernt. Daneben die zwei anderen: Beim Anblick ihres toten Kameraden mussten sie in Panik geraten sein und sich derart ungestüm gleichzeitig über ihn geworfen haben, dass sie sich die Spitzen ihrer Pickelhauben gegenseitig tief in die Köpfe getrieben hatten. Wenigstens diese beiden hatten bestimmt nicht lange leiden müssen ...
Laut schluchzte die kleine Eisbärin mit der Sonnenblumen-Haarspange auf: Es klang fürchterlich – wie ein Schrei aus dem tiefsten Abgrund einer tödlich verwundeten Seele. Das brachte zumindest die Sprache zurück in die trauernde Gruppe: „Wer soll uns jetzt vor den Franzosen schützen?“, jammerte verzweifelt der dünne Eisbär mit den bunten Rollschuhen.
Die anderen erbleichten: Oh Gott – die Franzosen! Daran hatten sie in ihrem Schmerz noch überhaupt nicht gedacht! Zwar waren die Franzosen bisher noch nie in der Arktis gewesen, doch gerade das erhöhte die statistische Wahrscheinlichkeit ungemein, dass dies irgendwann noch geschehe. Und ausgerechnet jetzt hatten sie mit ihren besten Freunden auch noch die entschlossensten Beschützer verloren! Die Eisbären zitterten: Ob aus Furcht oder vor Kälte, vermochte keiner so genau zu sagen. „Sie sind gestorben, und wir müssen sie begraben“, ergriff der große Eisbär, der immer als Tunte verkleidet rumlief, schließlich nüchtern das Wort. Und so geschah es. Der schwarze Eisbär verscharrte die drei kleinen Preußen im Schnee. Das würde zur Schmelze im Sommer aber ein großes Hallo geben!
ULI HANNEMANN
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