: Spielzone Selbstverstümmelung
Aus menschlichen Brunnen sprudeln Tränen: Der Künstler Ueli Etter zeigt in der Zwinger Galerie „Impressionen aus dem Park“
von OLIVER KOERNER V. GUSTORF
Es war bereits 1945, als Freud endlich der Durchbruch in Hollywood gelang. Seit Gregory Peck in Hitchcocks Thriller „Spellbound“ durch seine Alpträume jagte, um mit Ingrid Bergmanns analytischer Hilfe die Ursachen eines traumatischen Gedächtnisverlustes zu enträtseln, ist die Konfrontation mit den eigenen Abgründen der Psyche fester Bestandteil populärer Unterhaltungskultur geworden.
Die berühmte surrealistische „Traumsequenz“, die Salvador Dalí für den Film entwarf, brachte einem Massenpublikum auf spektakuläre Weise Psychosen, Kastrationsängste, Schuldkomplexe und Fetischismus näher und ließ das verborgene Seelenleben als fantastische innere Landschaft erscheinen, wie ein assoziatives Szenario, das leibhaftig betreten und wieder verlassen werden kann. Trauma und Therapie als Entertainment : Im PARK, dem multimedialen Projekt des Schweizer Künstlers Ueli Etter erfüllt sich die Vision einer Gesellschaft der individuellen Exzesse und der forcierten Selbsterfahrung, die unlösbar mit Sexualität, Gewalt und Tod verbunden ist. Das Abenteuer der Entdeckung des Unterbewusstseins, das sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als verspäteter Widerhall der Moderne auf der Leinwand ankündigte, hat im postmodernen Zeitalter seine kommerzielle Entsprechung im umfassenden Marketing einer globalen Freizeitindustrie gefunden.
Der innere Abenteuerspielplatz hat sich nach außen verlagert, auf Arenen für Extremsportarten, virtuelle Spielflächen, Swingerclubs, Techno- Events, tabulose Gameshows. Seit vier Jahren arbeitet Etter an der Konzeption eines imaginären Themenparks, der diese Erscheinungen aufgreift – an einer „Welt der finalen Unterhaltung“, deren „umfassender Service“ besser als jede Designerdroge die vollkommene Befriedigung aller noch so geheimen Wünsche und Bedürfnisse garantiert. Die Ausstellung „Impressionen aus dem PARK“, die zurzeit in der Zwinger Galerie zu sehen ist, zeigt sämtliche Orginalentwürfe, Pläne und Skizzen zu dem Projekt.
Zeitgleich ist im Berliner Vice Versa Verlag ein Guide erschienen, der das Angebot des PARKs ausführlich vorstellt. Dazu gehören unter anderem ein Zirkus, dessen Artisten sich selbst verstümmeln, menschliche Brunnen, aus denen Tränen sprudeln, oder Hotels, die dem von Hostessen kontrollierten Drogengebrauch vorbehalten sind. Die Zeichnungen und Druckgrafiken, die sich durch riesige Glasscheiben geschützt über die Wände der Galerie ziehen, bilden das Rohmaterial für ein akribisch durchdachtes Territorium , das erst durch das Hinzuziehen des Buches tatsächlich nachvollziehbar wird.
In den Spielzonen des Parks finden sich Hotels, Motels, ganze Stadtanlagen, eine ewige Baustelle, ein Fluss- und Kanalsystem, sowie „Running Rudolph“, eine Bahn, die alle Gebiete miteinander verbindet. Als Schnittstelle zwischen innerem und äußerem Erleben ähnelt der PARK einem psycho-sozialen Organismus, der sich gleichermaßen von Filmbildern, Archetypen, und Mythen der Unterhaltungsindustie nährt wie von der Architektur, die ihn mit geprägt hat. So erinnern Etters futuristische Entwürfe von Bahnhofshallen, Selbstmordtempeln und Hotellobbys durchaus an die Ausstattung der Filme von David Lynch oder Ridley Scott, aber vermitteln auch die Tristesse eines verlassenen Muliplexes an der Ausfahrtsstraße irgendeiner Großstadt.
Wie Etter in dem Führer zu seinem Projekt bemerkt, handelt es sich beim PARK nicht um ein utopisches Unternehmen. Der PARK ist für ihn vielmehr die Rekonstruktion vergangener, nicht mehr rentabler Pionierleistungen totaler Freizeitgestaltung, die den heutigen Angeboten sehr ähneln. Der PARK ist geschlossen und bietet höchstens noch Stoff für seine Nachfolger. Welche Tabus der PARK-Trip ins Unterbewusste auch gebrochen haben mag, bestimmt wurde er lediglich durch seine Ökonomie.
Bis 22. 7., Di–Fr 14–19 Uhr, Sa 11–17 Uhr; Zwinger Galerie, Gipsstr.3, Mitte; Ueli Etter: „The PARK/Der PARK – A final entertainment“, Vice Versa Verlag, Berlin
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