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Frische Goldjungs am Rhein

Die Schriftsteller Falko Hennig, Wladimir Kaminer und Jochen Schmidt fahren von Berlin aus mit dem Zug nach Köln und Düsseldorf, lesen dort Geschichten vor, unterhalten sich und versuchen auch sonst, sich zu amüsieren. Ein Reisetagebuch

von FALKO HENNIG

ERSTER TAG: Mit dem Fahrrad zum Hackeschen Markt, dann zum Bahnhof Zoo. Treffe die Kollegen Wladimir Kaminer und Jochen Schmidt in der Schalterhalle. Jochen holt sich ein mit der Zunge gerolltes Sandwich mit paniertem Huhn. Dann: Jochen setzt sich auf seinen reservierten Platz mit Steckdose.

Jochen sei „verruckt“, findet Wladimir, hier im Speisewagen habe man viel mehr Platz. Ein Mann telefoniert lautstark: „Wir haben einen 4-jährigen Jungen, der hat sich mit dem Messer ins Auge gestochen.“ Wladimir findet es gefährlich, das alles aufzuschreiben, irgendwann schlage das Schicksal zurück. Hat neulich diesen Film mit Robert de Niro gesehen, „Ich habe auch Zutzen, melk mich!“ Bei einer Konferenz in Potsdam wurde über Schweinkäse gesprochen, tatsächlich könne man Schweine melken und Käse daraus gewinnen. Gestern vier Flaschen Rum im Büro vom Kaffee Burger, wunde Finger hat er vom Gitarrespielen, seine Frau Olga hatte Geburtstag. Sie frage ihn immer, was Kathrin angehabt habe, neulich hat er geantwortet: „Weiße Socken und Strapse!“ Die Kollegen sind alle so jung, Jahrgang 82 und so, er habe schon Joints geraucht, da waren die noch nicht mal geboren.

Als ich die Beschleunigung der Lebenszeit und meine gestrige Theorie zum Besten gebe, mischt sich ein Mann vom Nebentisch ein, der Mensch sei selbstreferenziell; lebe er ein Jahr, sei dieses Jahr das einzige, an dem er es messen könne, sei er 40, sei das entsprechend anders, das könne man grafisch in einer Funktion sehr gut darstellen.

In Russland sage man, wenn es einem bei üppigen Essen gut gehe: „Das Leben ist doch insgesamt gelungen.“ Hinter Hannover kontrolliert Herr Tüzün. Nach 15.30 Uhr Laptop an; als Jochen kommt, sind alle Plätze belegt und er fotografiert mit meiner Kamera das eigenartige Bild, das wir gegenüber sitzend abgeben.

Wladimir schreibt von Lachanfällen unterbrochen, morgen im Zug soll ich ihn an grunzende Maschinen erinnern.

In Köln glaube ich, es würde dem Tourismus und auch dem Anblick gut tun, den Dom rosa anzumalen. So was Sinnloses, findet Jochen in Bezug auf den Dom, die ganze Stadt habe sich Jahrhunderte mit diesem Bauwerk beschäftigt, heute gebe es so was gar nicht mehr. Das sei heute genauso, widerspricht Wladimir, die Raumfahrt sei genauso eine Geldverschwendung. Als ich ihn aber frage, was er denn in 500 Millionen Jahren machen wolle, wenn die Sonne sich ausdehnt und wir keine Raumfahrt haben, kann er auch keine Antwort geben.

Eigenartiges Design in dem Hotelzimmer, ein Pult, das man gänzlich sinnlos an der Wand verschieben kann, die Nachttischlampen in eigenartigen Kästen, Fernseher sehr klein, aber von Loewe. Auch diese verwitterte Steinnase als Signet, fast schon albern die Fische und Äpfel überall. Erstere in Kugelgläsern aufzubewahren ist wegen Tierquälerei verboten.

Der erste Hund im All hieß gar nicht Laika, das sei die Hunderasse Husky, die Hunde hießen vielmehr Bellka und Strellka. Am meisten Heiterkeit bei den circa vierzig Zuschauern verursacht Wladimirs harmlose Bemerkung über das Internet. Lesung erfreulich, eine Frau hat Wladimir im Fernsehen gesehen und will wissen, welcher Sender das gewesen sei, er kann nur aufzählen, und eigentlich fehlt keine Station.

Danach Bizepszeigen im Taxi, auch noch Armdrücken. Während es zwischen Wladimir und Jochen vielleicht wirklich noch eine Frage sein mag, wer gewinnt, ist es dann zwischen mir und Wladi ganz sinnlos. Er lässt mich ein bisschen hin und her drücken, ehe er mich besiegt, mit Jochen unterliege ich dann noch einfacher und ziehe mir zu allem Überfluss einen Knacks am Kreuz zu, idiotisch.

ZWEITER TAG: Nach 8.30 Uhr auf, immer noch diese blöden Kreuzschmerzen, bin schon fertig mit Frühstücken, als Wladimir und dann Jochen auftauchen. Wladimir war neulich in Mölln, dort seien sie ja „verruckt“, der bronzene Finger des Denkmals sei ganz abgegriffen, angeblich bekomme man dann viele Kinder, Eulenspiegel bedeute ja ursprünglich Arschwisch.

Christoph Hein sei von einem Brillenfetischisten die Brille geraubt worden. Frage, ob ein Brillenfetischist mit Brillen dasselbe mache wie Unterwäschefetischisten mit Unterwäsche. Man könne, glaubt Wladimir, ja die Gläser herausschlagen und die Eier hindurchstecken. Der Gipfel der Perversität scheint mir in diesem Zusammenhang der Kneifer.

„Wollen Sie das hier nicht mitnehmen?“, fragt mich die Portierin und übergibt mir meinen Laptop, ogottogott. Das Lied, das Mütter auf Kassette hatten: „Wärst du doch in Düsseldorf geblieben, kleiner Playboy, du wirst nie ein Cowboy sein, wärst du doch in Düsseldorf geblieben, das wär besser für mich und für dich und für Düsseldorf am Rhein.“

Polaroid mit Kölner Dom im Hintergrund eher misslungen, Wladimir hat’s gelernt, für den Max hat er da was gemacht. Anzüge sollten wir uns anschaffen, müssen ja nicht rosa sein wie der von dem einen Kollegen, ob wir seine Freundin gesehen hätten, die sehe aus wie eine alte Puppe, wie gemalt.

21 Zuschauer mittags in Düsseldorf, und dabei sind alle mitgezählt, einschließlich Galeristin und Kulturfrau. Ein junger Mann mit Tarnhose hat ein Cannibal-Corpse-T-Shirt an. Sehr nette Atmosphäre, Publikum und Büfett hervorragend, ja, Lesungen können auch so was wie Belohnungen fürs Schreiben sein.

Frage Wladimir, warum Gerhard so wenig Lesungen gibt. Böge sei ein Engel, Engel interessiert alles gleichermaßen, Technik, Natur, Menschen; Wladimir wettet, dass er auch tausende Dias über Wolken, Bäume usw. hat, alles was Menschen fotografieren, sogar offene Feuer. Engel hätten auch keine Freunde, weil ihnen alle Menschen gleich wert erschienen, ob nun Professor, Künstler oder Nutte, Böge interessiere sich für alle gleich.

Ein völlig anderes Leben geführt, zehn Jahre mit Pferdekutsche übers Land gezogen, sich dann in Bangkok einen Anzug schneidern lassen und das Leben völlig umgestellt. Mit Tieren habe er sowieso was, mit elf Kaninchen auf der Schönhauser Allee, diese Elefantenberichte aus dem Tierpark. Sie unterhielten sich ständig über schlechte Rasierer. Mir erscheint das nicht normal, ich habe mich noch nie mit jemandem über Rasierer unterhalten. Das sei, weil ich mich nicht rasierte, mein Haarschneidegerät gilt nicht.

Heiner Müller, weiß Jochen, der sei auch auf dem Foto seiner Biografie schlecht rasiert, eine Stelle am Ohr habe er übersehen. Er soll sich ja auch selten die Haare gewaschen haben. Äußere meine Vermutung, dass er gemüffelt hat, der Alkohol, die Zigarren und dann nicht waschen. Aber Einstein ja auch.

Kafka und wann er gelesen hat; habe München 1919 in Erinnerung, ob er sich mit Hitler getroffen hat? Andreas Scheffler, der wisse doch alles über Kafka, sicher auch das und wie viel Honorar er gekriegt hat. Bin jedenfalls der Meinung, dass sie sich mal gesehen haben müssen, dass Hitler zu Kafkas Lesung gekommen wäre, ist ja bei seinen bekannten Vorbehalten gegen Juden eher unwahrscheinlich. Wenn erst die Zeitmaschine erfunden sei, dann würden wir direkt nach Kafkas Lesung am selben Ort lesen, wünscht Wladimir, und dann könnte ich mein Biberticket vorlesen.

Weiß im Einzelnen gar nicht genau, warum mir diese Tage so belebend erscheinen, weil es doch auch eine, wenn auch leichte Anstrengung ist, dieser eigentlich ununterbrochene Gesprächsfluss durch die Zeiten, Geografien und Ideen.

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