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fußballpunks sind hetero

von RENÉ MARTENS

Dass der Fußball derzeit Pause macht, stört mich nicht. Die besten Partien finden, um eine alte cineastische Plattheit aufzugreifen, ja sowieso im Kopf statt. Außerdem habe ich das letzte Spiel der alten Saison noch nicht verarbeitet – nicht zuletzt aufgrund einer Begebenheit, die mit Sport nur am Rande zu tun hat.

An diesem Tag absolvierte mein Fünftliga-Verein von um die Ecke sein entscheidendes Aufstiegsspiel. Für einen Haufen von rund 150 Menschen war das der Anlass, aus unser großen Hafenstadt in eine nicht so große Hafenstadt aufzubrechen. Darunter auch eine Fraktion vierbeinerfreundlicher Zweibeiner, die sich anhand diverser Accessoires in die Bevölkerungsgruppe der Punks einsortieren lassen. Sie, gerüchteweise Bewohner eines Bauwagenplatzes, waren schon in den Wochen zuvor verstärkt im Stadion aufgetaucht.

Punks, dachte ich bisher, seien die Spießer von gestern und die Zombies von heute. Aber seitdem ich unsere Fußball-Punks kenne, weiß ich, dass dieser Teil meines Weltbildes rosarot gemalt war. Ihr Lieblingssong ist nämlich „Ihr seid schwul wie der BVB“ beziehungsweise „Du bist schwul wie der BVB“. Letzteres sangen sie dann auch beim großen Spiel in der nicht so großen Hafenstadt, nachdem sich der in Dortmund-Style gekleidete Pfeifen-August – gelbes Hemd, schwarze Hose – als Bösewicht entpuppt hatte. Da der Gesang, anders als sonst, nur ein paar Meter entfernt von mir losbrach, sah ich mich gezwungen einzuschreiten und endlich die alte Parole „Global denken, im Lokalfußball handeln“ zu verwirklichen.

Ich sprach also einen offenruchlich lange nicht mehr mit Wasser in Berührung gekommenen Herrn an, der die Gesänge angestimmt hatte und angesichts seines Dialekts als Immigrant aus Sachsen zu identifizieren war. Was denn wäre, wenn der Pfeifen-August tatsächlich die gleichgeschlechtliche Liebe praktiziere, fragte ich sinngemäß. „Weil der schwul pfeift“, sagte der Ossi, was keine Antwort auf meine Intervention war, aber immerhin Anlass zu einer Nachfrage gab. Was er unter schwulem Pfeifen verstehe, wollte ich wissen. Da sprang ihm ein Gesinnungsgenosse bei und konterte: „Wir sind doch hier nicht auf ner Emanzen-Demo.“ Erneut keine direkte Antwort, aber für mich Anlass genug, die Waffen zu strecken, nachdem ich kurzzeitig erwogen hatte, in die Rolle des Provokateurs zu schlüpfen („Mit Frauen habt ihr also auch Probleme“) oder den Geschichtslehrer raushängen zu lassen („Homosexuelle haben in der Anfangszeit des Punk eine wichtige Rolle gespielt“).

In der Folgezeit skandierten die Herren dann noch, man solle doch „Tierversuche stoppen“ und stattdessen mit den Spielern aus der nicht so großen Hafenstadt experimentieren. Aber das ließ mich dann schon kalt, weil ich darüber nachdachte, demnächst eine Pro-Demonstration zu organisieren, falls mal wieder ein Bauwagenplatz zugunsten einer Megabude für Werbeagenturen platt gemacht werden soll.

Und dann gab es auch noch ein schreckliches Elfmeterschießen.

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