: Befruchten für die Forschung
Tabubruch in den USA: Erstmals sind menschliche Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken erzeugt worden
von BERND PICKERT
Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig. Mitten in eine erregte Auseinandersetzung über die Zukunft der embryonalen Stammzellenforschung in den USA platzt die Nachricht über die Erzeugung menschlicher Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken – und wirbelt damit die gesamte bisherige Argumentation durcheinander. Wissenschaftler am Jones Institute in Virginia veröffentlichten in der jüngsten Ausgabe des von der Reproduktionsmedizinischen Gesellschaft der USA herausgegebenen Fachmagazins Fertility and Sterility die Ergebnisse eines 1997 begonnenen Experimentes, mit dem sie Stammzelllinien aus Embryonen gewannen, die extra zu diesem Zweck erzeugt worden waren – statt, wie sonst bei der Stammzellforschung üblich, Embryonen zu verwenden, die bei künstlichen Befruchtungen übrig blieben und andernfalls verworfen würden.
Kurz nach seinem Amtsantritt Anfang dieses Jahres hatte Präsident George W. Bush unter dem Druck konservativer Lebensschützer entschieden, in einem Moratorium staatlich finanzierten Forschungsinstituten die Forschung an embryonalen Stammzellen vorübergehend zu untersagen. In diesen Tagen wollte Bush entscheiden, ob es bei diesem Bann bleibt oder ob die Forschung wieder zugelassen wird – da kommt die Nachricht von den Experimenten des Jones Institute nicht gerade gelegen.
Denn auch auf der konservativen Seite hatten sich die Positionen verändert. Der republikanische Senator Orrin G. Hatch aus Utah etwa, ein vehementer Abtreibungsgegner, hatte sich gerade für die Stammzellenforschung ausgesprochen: „Abtreibung zerstört Leben – hier aber geht es darum, Leben zu retten“, betonte Hatch Anfang Juli. Und Wissenschaftler der National Institute of Health in Bethesda, Maryland, ließen ein umfangreiches Papier in Kongresskreisen zirkulieren, in dem sie das Potenzial der Stammzellenforschung für die Bekämpfung von Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson und Diabetes in den höchsten Tönen lobten.
Aber auch die Fraktion der Gegner hat sich in den letzten Wochen neu formiert: „Es kann nicht lebensbejahend sein, auf eine Industrie des Todes zu setzen – selbst wenn das in der Absicht geschieht, Heilungsmöglichkeiten für Krankheiten zu entwickeln“, sagten die republikanischen Abgeordneten Richard Armey und Tom DeLay.
Die Forschung an embryonalen Stammzellen ist in den USA nicht verboten – allerdings verwendete man bislang nur Stammzellen, die aus bei einer künstlichen Befruchtung übrig gebliebenen und eingefrorenen Embryonen gewonnen worden waren. 1994 hatte Präsident Clinton eine Ethikkommission eingesetzt, die prüfen sollte, ob die Herstellung von Embryonen für Forschungszwecke ethisch vertretbar sei. Die Kommission kam zu der Auffassung, dass dies für bestimmte Experimente akzeptabel sei, woraufhin Clinton sich entsetzt abwandte.
Das Jones Institute in Virginia ist die führende Reproduktionsklinik in den USA. Zwei Argumente führen Susan Lanzendorf, Leiterin des jetzt bekannt gewordenen Experiments, und ihre Mitarbeiter für die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken an: Einerseits sei der Umgang mit den „Eltern“ ehrlicher: Die 12 Frauen und 2 Männer, die Eier beziehungsweise Samen für die Embryonenerzeugung spendeten, seien vorher über die Verwendung der Embryonen informiert worden. Zweitens, so das medizinische Argument, sei es so möglich, frischere Embryonen zu benutzen, die robuster seien und bei denen die Aussicht auf erfolgreiche Gewinnung von Stammzellen größer sei.
Diese Argumentation macht selbst Befürwortern der Stammzellenforschung Sorge: Gegenüber der New York Times sagte Patricia King, Bioethikerin an der Georgetown University und grundsätzliche Befüworterin des Rechts auf Abtreibung und der Stammzellenforschung, das Jones Institute gebe den Rechten der Spender zu viel Gewicht gegenüber den Rechten der Embryonen. „Wenn wir einigermaßen Konsens über umstrittene Forschung wahren wollen, muss die Wissenschaft in einer Weise vorgehen, die den geringsten ethischen Schaden anrichtet.“ Und James A. Thomson von der Universität Wisconsin, der erste Wissenschaftler, der embryonale Stammzellen erfolgreich isolierte, sagte derselben Zeitung, er halte es schlicht für überflüssig, Embryonen eigens zu Forschungszwecken herzustellen – die Ziele der Stammzellenforschung könnten auch mit jenen Embryonen erreicht werden, die nach künstlichen Befruchtungen ohnehin zur Verfügung stünden. Noch mehr empört der jetzige Tabubruch Abtreibungsgegner. Douglas Johnson, Sprecher des Nationalen Komitees für das Recht auf Leben, sagte der New York Times: „Jene, die für die zerstörerische embryonale Stammzellenforschung eingetreten sind, haben den Menschen und dem Präsidenten stets versichert, sie wollten lediglich so genannte überzählige Embryonen töten. Der Bericht zeigt, wie fadenscheinig solche Versicherungen sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen