: Jenseits der Klischees
Teil II der Serie „Pauker, Provos, Pädagogen“: Wie viel Raum bleibt in der Schule für Erziehung und soziale Einbindung? Soeben wurde ein Vorbild gekürt – zwischen grau bröckelnden Putzwänden
von HOLGER KLEMM
Ein Privatsender baut seine Kameras am Eingang der Friedrichshainer Hauptschule auf. Sie entsprach von außen auch so schön dem Klischee mit grau bröckelndem Putz und kahlem Innenhof. Bei den Schülern passt der erste Eindruck auch: Gewalt, Drogen, Waffen. Man hat es ja schon immer gewusst: Die Hauptschule! Der Osten!
Bundespräsident Rau überreichte am 31. Mai ebenjener Schule, seit 1999 Heinrich-Ferdinand-Eckert-OS, feierlich Urkunde und Preisgeld. Die Friedrichshainer Schule gehört zu den drei Besten im Wettbewerb „Hauptschule macht Schule“ – ausgewählt aus 90 Hauptschulen, die sich bundesweit beworben haben. Die Auszeichnung durch den Landesvater gilt der „Erziehung zur Eigenverantwortung. Jugendliche lernen ihr Leben zu gestalten frei von Abhängigkeiten, frei von Gewalt.“
Wer in die engere Auswahl kommen wollte, musste klaren Kriterien entsprechen: Modellcharakter, breiter pädagogisch-didaktischer Ansatz, viele außerschulische Kooperationspartner – die Schlagworte eben, die mit Inhalten zu füllen sind. Und, na ja klar, auf die Präsentation kommt es auch an.
Was ist hier anders als bei anderen, besser, nachhaltig, innovativ, pädagogisch besonders wertvoll? Die Schüler verlegen ihre Unterrichtszeiten aufs Wochenende und ins Seniorenheim, malen ihre Türen so an, dass sie einladend sind (nach Motiven von Wilhelm Busch und Keith Haring), betreiben mit einer Schülerfirma die Cafeteria und beliefern Tagungen und Feste mit kalten Büfetts. In einer Integrationsklasse lernen ein körperlich und zwei lernbehinderte Schüler.
Neben dem Schulhof, der sich von der Straße aus gut filmen lässt, gibt es zwei weitere. Einer ist der ruhige mit viel Grün, der andere ist ausgelegt für Pausen- und Freizeitsport. Und die im Fernsehbeitrag erwähnteWaffe war übrigens aus Schokolade, versichert Schulleiterin Christa Feldner, aber das nur nebenbei.
Das Preisgeld der Auszeichnung ist schon verplant. Material soll gekauft werden, um für den dritten Hof Bänke zu bauen, Kuschelecken aus Hecken und Kräuterbeete. Zehntausend Mark sind es, die der zweite Auszeichnungsplatz bringt. Musiklehrerin Sabine Posselt trainierte für die Preisverleihung im Bellevue mit zwölf Schülerinnen und Schülern einen Perkussion-Auftritt in Anlehnung an Stomp, das britische Trommelprojekt. Besenstile auf leere Plastikeimer, dazu ein Besenrhythmus.
Das Projekt schafft eine Stimmung, in der auch harte Barrieren unter den Schülern fallen. Einer ist stolz auf eine schwarz-weiß-rote Partei, deren Aufkleber er im Portemonnaie trägt. Ein anderer ist eher stolz auf seine Schule – seine Eltern kommen aus der Türkei.
Das Lehrerkollegium der Heinrich-Ferdinand-Eckert-OS ist überdurchschnittlich jung; ein großer Teil kam direkt von der Uni. An Durchschnittsschulen dagegen geht die Hälfte der Lehrerschaft in den nächsten zehn Jahren in den Altersruhestand. Frisches Blut gleich frische Ideen? Hier scheint die Rechnung aufzugehen.
Mathelehrer Dr. Ronald Elstermann, mit der Eröffnung der Schule 1995 kam er von der Uni, trägt sich mit größeren Plänen. Selbstkritisch gesteht er ein: „Wir machen noch zu viel falsch. Wir brauchen viel mehr Projekte.“ Gerade an der Hauptschule, wo praktisches Lernen im Fordergrund stehe – und die Schüler im Hinterkopf häufig soziale Probleme zubewältigen hätten.
Elstermann hat gut reden. Er arbeitet Teilzeit und hat dadurch den Kopf noch frei für weitergehende Konzepte. So kann er sich auch die Zeit nehmen für zusätzliche unbezahlte Arbeit – und trifft sich mit den Wohnbetreuern einer Schülerin, um deren psychische Probleme nicht noch mit schulischen zu überlagern.
Das Engagement ist auch aus der Not heraus geboren. Wer sollte sich sonst kümmern? Schulsozialarbeiter gibt es im Ostteil kaum, in der Eckert-Oberschule gar nicht.
Dass „die Lehrer rein private Freizeit opfern“, daran kann Feldner nichts ändern. Sie intensiviert halt den Kontakt zum Schulpsychologischen Dienst und hat ihre Zimmertür immer offen, wenn sie nicht gerade mit Schülern spricht, was oft der Fall ist. Eigentlich nicht mit der nötigen Zeit und auch nicht mit der nötigen Ausbildung. Die Stiftungsjury bescheinigt dem Kollegium überdurchschnittliches Engagement.
Vor zwei Jahren wurde aus der 1. Hauptschule Friedrichshain die Heinrich-Ferdinand-Eckert-Oberschule und das als abstempelnd empfundene „Haupt-“ fiel weg. Seitdem, glaubt Feldner, können sich die Schüler besser mit ihrer Schule anfreunden. Ein Beispiel nennt sie: Kurz nach der Umbenennung kamen Schüler mit alten landwirtschaftlichen Geräten an – Eckert war im 19. Jahrhundert Landmaschinenfabrikant mit Sitz in der später nach ihm benannten Eckertstraße nahe dem Frankfurter Tor – und richteten in der Schule ein Museum ein. Mit Mistgabeln, Dreschflegeln und Pferdegeschirr.
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