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Pioniere aus dem Plattenbau

Die nazifreie Zone: Das „Splash!“-Festival im Süden Sachsens ist das größte HipHop-Event seiner Art in Europa – und ein Erfolgsprojekt der Rapszene Ost. Deren Wurzeln reichen bis weit in die DDR-Vergangenheit zurück

Im Ostdeutschland ist HipHop eine reale Alternative zur rechten Jugendkultur In der DDR wurde Breakdance gefördert: Von der Straße in TV-Samstagabendshows

von DANIEL FERSCH

Ein Heimspiel: Als Tefla & Jaleel, die beiden Lokalheroen aus Chemnitz, am frühen Abend bei strahlendem Sonnenschein auf der Hauptbühne des „Splash!“-Festivals stehen, haben sich dort bereits mehrere tausend HipHop-Fans versammelt. Anstatt sich, wie einige der anderen Acts vor ihnen, auf ein bloßes „Hallo Chemnitz!“ zu beschränken, wenden sich Tefla & Jaleel direkt und persönlich ans Publikum, das an die Ufer des idyllischen Stausees außerhalb der Stadt gepilgert ist, um der versammelten Elite des deutschen HipHops zu lauschen, die sich dort am vergangenen Wochenende ein Stelldichein gab. Ein Song ihres Sets ist Tefla & Jaleel besonders wichtig: Es heißt „I.H.R.“, und handelt, darum die Initialien, von Intoleranz, Hass und Rassismus. Als das Stück ausklingt, gehen die letzten Takte im Lärm des Publikums, das „Nazis raus!“ skandiert, unter.

Artig bedanken sich Tefla & Jaleel für den Zuspruch. Doch privat sind ihnen solche plakativen Slogans zu simpel. „Wenn man nur ‚Nazis raus!‘ schreit, bringt das nichts“, findet Jaleel. „Wir wollen mit unserem Song nicht bloß sagen, dass Nazis Scheiße sind. Es geht ganz allgemein um Intoleranz. Intolerant ist schließlich nicht nur ein Nazi, sondern fast jeder Mensch.“ In ihrem Stück „I.H.R.“ stellen sich Tino Kunstmann und Sören Metzger, wie Tefla & Jaleel mit bürgerlichen Namen heißen, deswegen vor, wie es wohl wäre, wenn der Rassismus eine Person, ein Mensch wäre, und verfolgen dessen Gedankengänge. „Wir fanden das eine interessante Perpektive“, erklärt Jaleel.

Ihre Fans müssen sie schließlich nicht erst zum Antirassismus bekehren. Denn auch wenn die meisten HipHop-Heads wahrscheinlich kein ausgeprägtes politisches Bewusstsein besitzen – von den Rechten grenzt man sich doch deutlich ab, und sei es nur durch Kleidung und Habitus. Gerade im Osten kann es einem deswegen schon mal passieren, Prügel einzustecken, wenn man sich in einer Nazihochburg als HipHopper zu erkennen gibt. Dass es aber manchmal eine Frage des Zufalls ist, auf welcher Seite der Kampfzone man sich wiederfindet, weiß Tefla aus eigener Erfahrung: „Ich komme aus dem Fritz-Heckert-Gebiet in Chemnitz, einem der größten Neubausiedlungen Deutschlands. Dort gab es, zumindest in meinem Block, mehr Punks und HipHopper als Nazis. Aber wäre ich in einer anderen Gegend aufgewachsen, dann hätte ich vielleicht auch rechtsradikal werden können“, befürchtet er. „Ich kann es zumindest nicht ausschließen, und das bereitet mir viel Kopfzerbrechen.“

Gerade darum ist es ihm wichtig, der rechten Jugendkultur vor Ort eine Alternative entgegenzusetzen. „Viele sind einfach nur Mitläufer. Denen musst du einen anderen Weg zeigen“ – und wenn es nur der Weg zur nächsten HipHop-Party ist. Den HipHop im Osten Deutschlands stark machen, auch als potenzielle Ausstiegsdroge für Neonazis – zumindest damit können Tefla & Jaleel einigen Erfolg verbuchen. Als Rap-Duo geben sie der B-Boy-Szene in Chemnitz ein Gesicht und eine Stimme. Mit „Phlatline Records“ sind Tefla & Jaleel an einer kleinen Independent-Plattenfirma beteiligt, auf der kürzlich auch ihr eigenes Debüt „Interview“ erschien (siehe taz vom 13. 7.); als Aktivisten der ersten Stunde sind sie auch nicht ganz unschuldig am Erfolg des wichtigsten Freiluftfestivals in ihrer Stadt. 1998 startete das „Splash!“ als kleines Hallenkonzert mit 1.000 Besuchern. Inzwischen hat es sich, mit mehr als 30.000 Besuchern, zum bedeutendsten HipHop-Festival der gesamten Republik gemausert, es sucht in seiner Größe sogar in ganz Europa seinesgleichen.

„Chemnitz ist einfach unsere Homebase“, erklärt Tefla. „Die Stadt gibt uns eine gewisse Inspiration. Das ist einfach dieses Heimatding.“ Überhaupt ist Heimat ein Wort, das oft fällt im Gespräch mit Tefla & Jaleel. Ein Wort, mit dem sie aber zwiespältige Gefühle verbinden: Einerseits sehen sich Tefla & Jaleel als Lokalpatrioten und sie kokettieren auch gerne damit, aus der „Zone“ zu kommen. Andererseits verstehen sie sich auch als Kosmopoliten in der Wortwelt des Raps. „Ich baue auf diesen HipHop-Gedanken – das es einfach egal ist, wo du herkommst“, betont Tefla.

Beim „Splash“-Festival scheint dieser Gedanke Wirklichkeit geworden zu sein. Friedlich treffen hier HipHop-Heads aus Ost und West aufeinander, und keine Battle-Konkurrenz à la Eastcoast gegen Westcoast trübt die Harmonie. Indem Breakdance und Graffitti einbezogen werden, versucht das Festival, an den alten Jam-Gedanken anzuknüpfen, und eine eigene Bühne für Dancehall-Reggae, die ein beeindruckendes Line-up an deutschen und jamaikanischen Acts bietet, demonstriert musikalische Offenheit. Ein Konzept, das von den meist sehr jungen Besuchern allerdings nicht immer honoriert wird: Der Auftritt von Kool Savas, der Möchtegern-Eminem aus Berlin, interessiert hier mehr als die bemalten Leinwände der europäischen Writer-Elite oder die Breakdance-Bühne, die im Abseits steht.

Auch deshalb hat Mike Dietrich von solchen Events wie dem „Splash!“ genug. Den 31-jährigen Produzenten und DJ aus Leipzig stört, dass sich nur noch wenige seiner Generation für HipHop interessieren. „Ich möchte, dass sich auch Leute meiner Altersstufe meine Musik anhören“, beschwert er sich. „Die sagen dann aber meistens: ‚HipHop? Ey, Alter, hau bloß damit ab!‘ “

Seit beinahe fünfzehn Jahren ist Mike Dietrich unter seinem Künstlernamen Opossum aktiv, ein Pionier der HipHop-Szene Ost. Doch in dieser Zeit hat er einige Illusionen verloren. Schon zu DDR-Zeiten versuchte er sich als Breakdancer, später auch als DJ. Im Gegensatz zu anderen Jugendszenen wie jener der Punks, denen stets die Verfolgung durch die Stasi drohte, wurde HipHop in der DDR geduldet. Mehr noch: Der Staat versuchte sogar, die Szene zu vereinnahmen. „Es gab das Jugendradio DT64 mit einer eigenen HipHop-Sendung, und der Film ‚Beat Street‘ wurde in den Kinos und später auch im DDR-Fernsehen gezeigt“, erinnert sich Tefla. Animiert von diesem Vorbild, versuchte man sich auch jenseits der Mauer in Headspins und Straßenakrobatik. „Die Szene in der DDR hat sich vor allem durch Breaker ausgezeichnet – weil man dafür kein besonderes Material, keine Platten oder technisches Equipment brauchte.“ Und lange mussten die B-Boys nicht mit dem Asphalt vorlieb nehmen: Öffentliche Breakdance-Meisterschaften wurden abgehalten, und die Planet Dance Crew aus Chemnitz schaffte es sogar ins die Samstagabendshow des DDR-Fernsehens – Hauptsache, sie trugen Trainingsanzüge von Germina statt von Adidas.

Damals kaufte sich auch Mike Dietrich seinen ersten Plattenspieler, ein tschechisches Fabrikat, und rüstete es für den DJ-Betrieb um. „Nach der Währungsunion habe ich mir erst einmal zwei Technics geleistet. Meien Freunde hielten mich für wahnsinnig: Alle wollten neue Autos, und ich habe mir neue Plattenspieler gekauft.“

In seiner kleinen Wohnung im Leipziger Stadtteil Connewitz hat er sich eines seiner drei Zimmer als Homestudio eingerichtet: Ein Rechner, Mischpult, Sampler, Synthesizer und zwei Plattenspieler, mehr Geräte gibt es nicht. Obwohl er es geschafft zu haben scheint – gerade arbeitet er an einem Album mit Sängern und Rappern aus den USA und ganz Deutschland –, er weiß, wie steinig der Weg zum HipHop-Ruhm gerade im Osten der Republik ist. Erst vor einem Jahr hat er einen Vertrag mit einem Musikverlag geschlossen, der ihm geregelte Einnahmen garantiert. Immerhin erfährt nun aber auch seine bisherige Arbeiten späte Anerkennung. Der Song „HipHop in der DDR“, den er vor sieben Jahren mit seiner damaligen Band „B-Side The Norm“ aufgenommen hat, gelangte über Umwege auf die Anthologie „Pop 2000 – 50 Jahre Popmusik in Deutschland“, die im vergangenen Jahr von Herbert Grönemeyer präsentiert wurde. „Das Letzte, was ich gehört habe, ist, dass der Song in Auszügen sogar in einem Schulbuch abgedruckt werden soll“, freut sich Mike Dietrichs alias Opossum. „Das wäre natürlich ein echtes Knallbonbon.“

Wie seine Chemnitzer Kollegen Tefla & Jaleel, beklagt er aber, das es für Nachwuchs noch immer an Infrastruktur fehlt. „Alles, was da ist, ist aus Eigeninitiative entstanden“, beklagt er. Das gilt auch für das „Erfolgsmodell Chemnitz“, das sich nur dem starken Zusammenhalt der dortigen Szene verdankt. Stolz verkündet Tefla: „Wir haben im Moment, wenn man von Berlin einmal absieht, das einzige HipHop-Studio in den neuen Bundesländern, das ein halbwegs professionelles Level hat. Normalerweise sitzen im Osten nur Typen mit Nietenarmbändern und langen Haaren an den Mischpulten – die können mir natürlich nicht erzählen, wie ich jetzt den nächsten Take rappen soll.“

Auch deswegen fühlen sich manche West-Rapper, wenn sie den Boden der neuen Bundesländer betreten, wie in einem HipHop-Entwicklungsland – und führen sich entsprechend auf. Das Vorurteil, Rassismus sei hier Allgemeingut, gibt vorhandenen Überlegenheitsgefühlen nur zusätzliche Nahrung, und manche Rapper nehmen gleich den ganzen Osten in Sippenhaft. Solche Töne mischten sich zuletzt auch unter den Antirassismusappell der Brothers Keepers, jener Allianz afrodeutscher Rapper wie Torch, Afrob und Xavier Naidoo, die derzeit als Kollektiv Furore machen. Er hoffe, der Track sei ein „Dildo, der Zone fickt“, lässt Denyo von den Absoluten Beginnern in dem Stück „Adriano (Letzte Warnung)“, das dem im vergangenen Jahr in Dessau von rechten Schlägern ermordeten Alberto Adriano gewidmet ist, seinen Vorstellung von Zwangsmissionierung freien Lauf: Ein Misston, der das begrüßenswerte Anliegen in Misskredit bringt.

Trotzdem wurden Brothers Keepers in Chemnitz begeistert empfangen. „Eigentlich sollte Musik etwas Positives sein“, hatte der Hamburger Samy Deluxe, dem Fehden mit anderen Rappern nachgesagt werden, für versöhnliche Stimmung gesorgt, bevor seine Kollegen auf die Bühne traten. Und nach dem Auftritt konnte man im Backstage-Bereich sehen, wie sich Tefla und Denyo gemeinsam in ein Gespräch vertieften.

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