: Banzer lässt Bolivien los
von THOMAS PAMPUCH und AGUSTÍN ECHALAR (La Paz)
Das Ereignis, das heute in der bolivianischen Tieflandsmetropole Santa Cruz de la Sierra stattfindet, dürfte zu einem historischen Datum werden. Am „Tag der Streitkräfte von Bolivien“ ehren diese nicht nur zum letzten Mal ihren herausragendsten Vertreter Hugo Banzer, sondern sie verabschiedeten ihn auch aus seinem jetzigen Amt: dem des Präsidenten. Banzer war der am Längsten regierende Diktator des Landes im zwanzigsten Jahrhundert. Aber er ist auch der Mann, der trotz dieser Vergangenheit zwanzig Jahre später nach demokratischer Wahl Präsident wurde.
Banzers Rücktritt bedeutet das Ende einer Epoche, das Ende der Ära der Militärs in Bolivien – selbst wenn diese schon seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie vor fast zwanzig Jahren keine überragende Rolle mehr gespielt haben. Längst vorbei sind die Zeiten, als der General das Land fast ausschließlich mit Hilfe der Militärs regierte und sich diese auf schändliche Art bereicherten. Schämen müssen sich die Militärs aber auch in diesen Tagen noch: In der letzten Zeit gab es immer wieder Skandale, in die sie verwickelt waren. Die nie sehr angesehene Institution hat unter der Präsidentschaft ihres Generals auch ihren letzten Kredit verspielt.
Es war ein Segen für die langsam auf das Abstellgleis geratenen Militärs, als ihr alter Kamerad Banzer 1997 ganz legal wieder an die Macht kam. Keiner seiner demokratischen Vorgänger hatte ihnen so viele Pfründen eingeräumt. Dass dieser Vertreter der alten Zeiten nun geht, hat für sie etwas Tragisches: In Santa Cruz verabschiedet sich eine moribunde Institution von einem moribunden Staatschef.
Nach der Verfassung läuft die Regierungszeit für den 75-Jährigen erst am 6. August 2002 ab. Doch der Präsident ist schwer krank. Seit Anfang Juli wird er im Walter Reed Militärkrankenhaus in Washington gegen Lungenkrebs behandelt. Nachdem Metastasen in der Leber aufgetreten sind, entschloss sich Banzer am 30. Juli zum vorzeitigen Rücktritt. Am 4. August flog er mit einem Hospitalflugzeug der US-Regierung in seine Heimatstadt Santa Cruz. Gestern erklärte er in der historischen alten Hauptstadt Sucre vor dem dort versammelten Kongress seinen Rücktritt, heute nimmt er seine letzte Parade ab.
Es mag verwundern, dass ein Diktator der Siebzigerjahre zwei Dekaden später demokratische Wahlen gewinnen konnte. Dazu muss man sagen, dass das „Banzerato“ trotz Repression, politischer Verhaftungen und einer Reihe von Morden nicht mit den weitaus blutigeren Diktaturen in Chile, Argentinien oder Brasilien zu vergleichen ist. Das Regime profitierte zudem anfangs von einem wirtschaftlichen Boom, der den damals guten Preisen für die Exportprodukte Zinn, Gas, Öl und einige landwirtschaftliche Güter zu verdanken war. Fast alle lateinamerikanischen Regierungen bekamen in jenen Jahren Auslandskredite förmlich nachgeworfen, und so erschienen auch Banzers erste Jahre manchem in rosigem Licht.
Vor allem bei den Campesinos und den Vertretern des Agrobusiness war der Diktator zunächst durchaus beliebt. Seine Heimat Santa Cruz wurde zur Boomtown und zweitgrößten Stadt des Landes. Doch die Krise folgte bald, und die Rechnung wurde in Form von drei Milliarden Dollar Auslandsschulden präsentiert. 1978 musste der Diktator, der wegen seiner Menschenrechtsverletzungen auch politisch immer mehr unter Druck geriet, ruhmlos abtreten.
Als nach dem blutigen Intermezzo des „Kokafaschismus“ von Luis García Meza Anfang der Achtziger Bolivien endlich wieder demokratisch wurde, entschloss sich der frühere Diktator, eine Partei zu gründen. Wider Erwarten hat er sich seitdem mit seiner Acción Democrática Nacionalista (ADN) als durchaus ernsthafter Teilnehmer am demokratischen Spiel erwiesen und sogar mehrmals politisches Verantwortungsbewusstsein gezeigt. So akzeptierte er 1985, obwohl seine Partei die meisten Stimmen gewonnen hatte, dass die ehemalige Revolutionspartei MNR mit ihrem alten Kämpfer Victor Paz die Regierung übernahm, und unterstützte sie in einem „Pakt für die Demokratie“. Nach den Wahlen 1989 ging Banzer im „patriotischen Abkommen“ sogar ein Bündnis mit der Linkspartei MIR ein, die als Widerstandgruppe während seiner Diktatur entstanden war, und unterstützte Jaime Paz Zamora, den er einst ins Exil getrieben hatte, als Präsidenten.
Obwohl die ADN 1997 nur zwanzig Prozent der Stimmen erhielt, konnte sich der Exdiktator dank einer „Megakoalition“ aus mehreren Parteien seinen alten Wunsch nach einer Art „Erlösung“ von seiner diktatorischen Vergangenheit erfüllen. Die Präsidentschaft seit 1997 dürfte dennoch zur schlimmsten Zeit seines Lebens gehört haben. Banzer musste erkennen, wie schwierig es für einen Diktator ist, sich an demokratische Regeln zu halten und sich andauernder Kritik auszusetzen. Auch für die Bolivianer waren die letzten vier Jahre nicht einfach. Sie waren geprägt durch eine massive Rezession, die immer wieder zu Protesten und Blockaden führte und das Land paralysierte.
Zufrieden mit Banzer waren vor allem die USA, denen er beweisen wollte, welch ein strikter Gegner des Drogenhandels er ist. Die Produktion von Koka und Kokain und der Handel damit waren in den Jahren der Banzer-Diktatur aufgeblüht. Nun aber bot Banzer mehr als die USA je verlangt hätten: die Vernichtung der gesamten Kokafelder im Chaparé. Das hat dem General zwar die Glückwünsche von Clinton wie Bush eingebracht, aber auch ein Loch von etwa 400 Millionen Dollar in der bolivianischen Handelsbilanz. Unter der Verringerung des Bruttoinlandproduktes um mehr als zehn Prozent leiden die Drogenhändler weniger als die ärmsten Bevölkerungsschichten.
Ein Nutznießer von Banzers Regierung war seine Kamarilla. Verwandte und Getreue übernahmen wichtige Posten und knüpften ein Netz der Korruption. Ihr wichtigster Exponent ist Banzers Schwiegersohn, Luis Alberto Valle, der drei Jahre lang Präfekt von La Paz war und dem inzwischen eine Reihe von Korruptionsdelikten vorgeworfen werden – darunter der illegale Verkauf des Fuhrparks der Präfektur. Bei den großen Namen im Schmuggelgeschäft stand der von Banzers Arbeitsminister ganz oben, und Gerüchte sprechen davon, dass die First Lady bei der Protektion der Schmuggler ihre Hand im Spiel hatte. Die Kamarilla wird mit Banzer abtreten. Doch es steht zu fürchten, dass sie dem Nachfolger noch einige Probleme machen wird.
Vizepräsident Jorge Quiroga, der bereits seit Juli als eine Art Interimspräsident fungiert, wird morgen als neuer Präsident Boliviens vereidigt. Er wird das Amt ein Jahr ausüben, da dann Neuwahlen anstehen. Mit Quiroga erlebt die bolivianische Politik nicht nur einen Generationswechsel, sondern auch einen Stilwechsel – obwohl „Tuto“, wie er genannt wird, ebenfalls der Partei von Banzer angehört. Im Gegensatz zu dem Soldaten Banzer, der aus bescheidenen Verhältnissen kommt, entstammt der Einundvierzigjährige einer Familie der Oberschicht von Cochabamba. Quiroga hat in Texas studiert, bei IBM gearbeitet und gilt als Yuppie und Technokrat zugleich. In der Regierung von Jaime Paz Zamora, der ihn heute als seinen Schüler bezeichnet, war er mit dreißig Jahren der jüngste Finanzminister, den das Land je hatte. 1993 organisierte er Banzers Wahlkampagne – ohne großen Erfolg – was Banzer allerdings nicht daran hinderte, ihn 1997 als Kandidaten für seinen Vize zu präsentierten.
Quiroga gilt als ehrlich und unbestechlich. Zu seinen Aufgaben als Vizepräsident gehörten Antikorruptionsprogramme, bei denen er wiederholt sowohl mit den Verwandten des Präsidenten als auch mit den so genannten „Dinosauriern“ der ADN aneinander geriet. Als vor drei Jahren die amerikanische Botschaft bei Quiroga anregte, Banzer zum Rücktritt zu bewegen und an seine Stelle zu treten, hat dies das Verhältnis zwischen den beiden nicht verbessert. Nun übernehmen mit Quiroga die „jungen Schlümpfe“ der ADN die Macht in der Partei. Ihr Erfolg an der Regierung wird auch davon abhängen, wie sehr es ihnen gelingt, den Kampf gegen die Korruption zu gewinnen.
Der neue Präsident erbt ein Land in der Krise, das zunehmend von sozialer Unruhe erfasst wird. Diese hat nicht nur mit der wirtschaftlichen Lage zu tun, sondern auch mit dem Auftreten der selbstbewussten Indianerbewegung. Die Blockaden, die ihr charismatischer Führer el Mallku organisiert hat, haben der Regierung im vorigen Jahr gehörig eingeheizt. Quiroga wird es nicht leicht haben, all diese Probleme zu lösen, zumal er auch die „Megakoalition“ irgendwie zusammenhalten muss.
Wie sein peruanischer Amtskollege Toledo bringt auch „Tuto“ eine Ausländerin als Ehefrau in den Regierungspalast mit. Als First Lady könnte sich die gut aussehende Ginger aus Texas als Geheimwaffe für den nordamerikanischen Markt erweisen und sowohl etwas für den Tourismus als auch für die Textilexporte tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen