: Ernüchternde Erfahrung mit dem Kombilohn
Wenn Arbeitgeber Löhne unter Tarif bezahlen dürfen, könnten dadurch Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen werden. Meinte man noch 1998. Die Hoffnungen wurden schnell enttäuscht, denn die Nachfrage nach gering qualifizierten Arbeitern ist viel geringer als erwartet
FRANKFURT/MAIN taz ■ Der Sozialhilfeempfänger arbeitet, der Arbeitgeber zahlt ihm einen unter Tarif liegenden Lohn, das Sozialamt stockt diesen Betrag so weit auf, dass ein Mensch davon bescheiden, aber eben doch über Sozialhilfeniveau leben kann. So sieht das Kombilohn-Modell aus. Nach dem Wunsch seiner Befürworter sollte es den „Zweiten Arbeitsmarkt“, komplett staatlich geförderte Beschäftigungsmaßnahmen, ablösen. Es sollte aber auch der Schwarzarbeit beim Häuslebauen, in den Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben entgegenwirken. Die FDP favorisierte es ebenso wie parteiübergreifend etliche Landes- und Bundespolitiker. Noch 1998 gingen sie davon aus, dass mit dem Kombilohn bis zu 9,5 Millionen neue Jobs vor allem im Dienstleistungsbereich entstehen würden. Denn jeder höher Qualifizierte würde gern die Arbeitskraft der weniger Ausgebildeten kaufen, um so seine eigene Zeit effektiver einsetzen zu können. Anders ausgedrückt: Einer sitzt am Computer, während andere seine Rasen mähen und sich um seine Kinder kümmern.
In Hessen begannen die ersten Modellversuche unter der Regie von Sozialministerin Marlies Mosiek-Urbahn (CDU) im Oktober 2000. Nur 7 der insgesamt 26 Sozialhilfeträger im Land hatten jedoch ihr Interesse angemeldet. Nach den Vorstellungen des Sozialministeriums soll der Kombilohn den Bedürfnisse jener gerecht werden, die arbeiten wollen, aber bisher keine Stellen gefunden haben. Dazu gehörten zum Beispiel auch allein erziehende Mütter, denen bisher jeder Teilzeitverdienst von der Sozialhilfe abgezogen werde. Zielgruppe sind Arbeitslose, die mindestens ein halbes Jahr lang Sozialhilfe bekommen haben. Die Sozialämter regeln auch die Formalitäten, so dass für die Arbeitgeber kein Verwaltungsaufwand entsteht.
Inwischen haben sich Wissenschaftler, aber auch einige Firmen kritisch zu den Programmen geäußert. Stellen für geringfügig qualifizierte Arbeitnehmer oder Langzeitarbeitslose seien längst nicht so dicht gesät wie vermutet. Viele Haushalte müssten aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Lage sparen, leicht erlernbare Tätigkeiten wie zum Beispiel Warenausgabe, Verpackungen, Sortieren, Lagerhaltung seien längst maschinisiert worden. Es fehle stattdessen vor allem an hoch qualifiziertem Personal.
Michael Müller-Puhlmann, Referent im Hessischen Sozialministerium, rechnet auch nicht damit, dass das Projekt als „Anreiz für Arbeitsunwillige“ funktionieren wird. Die große Mehrheit der Menschen wolle ohnehin „lieber arbeiten als dem Sozialamt zur Last fallen“. Es sei eher als „ein zusätzliches Instrument“ der Arbeitsmarktregulierung. Das Projekt zählte im April 2001 in Hessen 59 Teilnehmer vor allem im Dienstleistungsgewerbe. Es ist auf zwei Jahre befristet, soll das Land rund 600.000 Mark kosten und wird zusätzlich mit EU-Geld unterstützt. Die Erfahrungen werden wissenschaftlich ausgewertet und nicht vor Ende 2002 vorliegen.
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