der himmel blau in grünenwald:
von WIGLAF DROSTE
Was ist das eigentümlich Anrührende an der Schweiz? Die Nähe zu Italien, dem Land, das für seinen himmelschreiend unfairen geografischen und kulinarischen Standortvorteil politisch so brutal bestraft wird? Die vollkommene Übereinstimmung von Postkarte und Wirklichkeit? Die Vielzahl der Sprachen und Dialekte, über die dümmere Deutsche sich so gern belustigen, weil sie auch davon nichts verstehen? „Fränkli“ sagen sie dann oder sogar noch umnachteter: „Fränkchli“ – als ob das Schweizerdeutsch simpel und das knusprige Schweizer Geld komisch sei.
In der Schweiz wird das roh Germanische durch romanischen Einfluss gemildert. Das Land ist derartig gut aussehend, dass es für jeden Betrachter eine enorme Zivilisationsleistung bedeutet, hier nicht zum libidinös motivierten Reaktionär zu werden. Wer durch eins der vielen Schweizer Paradiese sich bewegt, verspürt den unhinterfragten Wunsch, sie zu bewahren. Da ist leicht konservativ werden.
Wo Gift ist, ist auch Gegengift: Endo Anaconda, Sänger der Schweizer Band Stiller Has (was den stillen Hasen ebenso meint wie den stillen Hass), spottete schon vor Jahren über die mit unerträglicher Penetranz als wunder-, wunderschön ausgeschriene grüne Aare, die um Bern herumfließt: „gang doch e chli der aare naa / lue wie d velöle velöle mit ihrne velo / der schöne grüene aare naa / der aare naa / dere schöne schöne grüene aare naa / d gynäkologe jogge mit ihrne dogge / der aare naa / de träffe si d hünd vom gerichtspresidänte / u zäme jage sie änte, dere schöne, schöne grüne aare naa“.
Von Luzern aus fährt eine Zahnradbahn nach Engelberg. An der Waggontür gibt es einen Knopf und darunter ein kleines Schild mit der Aufschrift „Halt auf Verlangen“. Das weckt Verlangen nach Halt auf Verlangen. In Grünenwald, der letzten Station vor Engelberg, hält die Bahn wie verlangt. Grünenwald besteht nur aus einem Haus, einem ehemaligen Gasthof, der an die Band Jolly and the Flytrap verpachtet ist, die auf lässige Art zeigt, dass Innerschweiz und Weltmusik keine Gegensätze sein müssen.
Von Grünenwald aus sieht man die Berge, in entrückt machendes knallblaues Licht getunkt. Jolly-Gitarrist Richard Blatter, der unter dem Namen Elritschi auch sehnsuchtsvolle Cowboylieder singt, zeigt hinauf und sagt über seinen Vater, der Bergführer und Nationalrat war und vor einigen Jahren starb: „Da oben ist mein Papa.“ Nur beim Johnny-Cash-Konzert 1995 war ich näher daran, andächtig auf die Knie zu sinken. Hier war eine ganz reine Liebe zur Landschaft, untrennbar verbunden mit den Menschen, die in ihr leben. Es war Lichtjahre entfernt von dem Heimat-Gekläffe, wie man es in Deutschland sich anhören muss, wo die angebliche Liebe zum Land sich immer als Vaterländerei entpuppt. „Deutsche Heimat – einzig unter den Heimaten!“, krakeelen sie und singschunkeln „Über jedes Bacherl geht a Brückerl.“ Die Deutschen sind geschlagen mit der Impotenz eines herbeihalluzinierten Heimatgefühls, das ihnen unausweichlich zur Karikatur missrät oder zur Aggression.
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