: Man muss abgeben können
Mit seinem Sieg beim Radrennen in Hamburg rückt Erik Zabel auf Rang zwei der Weltcup-Wertung vor, gedenkt aber nicht, in dieser Saison noch einen Angriff auf Spitzenreiter Erik Dekker zu starten
aus Hamburg JÖRG FEYER
Rückblickend grenzt es an ein Wunder, dass Erik Zabel im letzten Jahr den Weltcup für die zehn wichtigsten Eintagesrennen der Radsportsaison gewinnen konnte. Nicht dass plötzlich Zweifel an seiner Klasse als Rennfahrer bestünden. Aber ein verbindlicher Regeltest vor den Starts hätte den Mann aus Unna bestimmt an den Rand der Disqualifikation gebracht. „Wie oft muss ich denn noch fahren?“, fragte also Zabel gewohnt keck in die Presserunde, geplagt von unguten Erinnerungen an frühere Ausschlüsse aus dem Gesamtklassement. Mindestens sechs Starts verlangt nämlich das Weltcup-Reglement für den Verbleib in der Abschlussbilanz.
Dass sich der Telekom-Profi überhaupt mit solchen Details beschäftigen musste, hatte freilich einen erfreulichen Anlass: Im vierten Anlauf gewann Erik Zabel am Sonntag in Hamburg zum ersten Mal die HEW-Cyclassics, die – auch ein Novum – ein reines Favoritenpodium brachten. Weltmeister Romans Vainsteins wurde Zweiter vor dem alten und neuen Weltcup-Leader Erik Dekker. Der Sieg beim einzigen deutschen Weltcupwettbewerb – ingesamt bereits sein 23. in dieser Saison – hatte Zabel noch gefehlt in seiner Sammlung der bedeutendsten Rennen auf heimischem Terrain; das sei „emotional ein absolut bewegender Moment“ gestand er, nachdem die „Bürde Heimrennen sehr gut bewältigt“ war.
Dabei hatte Teamkollege Rolf Aldag unmittelbar vor dem Start noch in gewohnter Telekom-Skepsis gemacht. Sportlich gesehen, so der altgediente Helfer, wäre ihm der Henninger Turm in Frankfurt und damit ein klassisches Ausscheidungsrennen als Weltcup lieber, „weil man da wirklich auf Ansage wegfahren kann“. Das sei beim flachen, aber Hektik provozierenden Parcours „in Hamburg unmöglich. Da kommen schon mal acht unter die ersten Zehn, die du das ganze Rennen kaum gesehen hast.“ So wie in den Vorjahren halt.
Gute sechs Stunden später berichtete dann Jan Ullrich zwar von einem Finale, welches „eigentlich so wie immer“ abgelaufen sei. Aber das war es in der entscheidenden Phase gerade nicht. Denn der Waseberg im noblen Hamburger Westen hatte diesmal nicht funktioniert als Nadelöhr für eine kleine Gruppe, die sich auf der engen, gefährlichen Abfahrt nach dem kurzen 16-Prozent-Anstieg bisher immer auf und davon in Richtung Außenseitersieg machen konnte. Nach der dritten und letzten Überquerung des „Hügels der Leiden“ (ARD-Jargon) hatte Erik Dekker die Initiative ergriffen. Davide Rebellín und Paolo Bettini konnten folgen. Doch selbst dieses erfahrene Klassiker-Trio kam auf den letzten 15 Kilometern bis zum Ziel nicht entscheidend weg. Jan Ullrich, Dauerzweiter bei der Tour de France, höchstpersönlich steckte eigene Ambitionen zurück, fuhr als Edelhelfer in der Pflicht die Sichtweiten-Lücke mit zu und brachte Zabel in eine optimale Position. Der profitierte im Finale davon, dass Dekker von vorn fahren und quasi für ihn den Sprint anziehen musste, um nicht durchgereicht zu werden und so wichtige Weltcup-Punkte zu gefährden.
Der starke Holländer hatte die Tour de France in diesem Jahr mit Blick auf diese Wertung nicht am Limit gefahren (und doch noch eine Etappe gewonnen). Als Dritter in Hamburg bekam Dekker immerhin noch 50 Punke und behauptete damit seine Spitzenposition – vor Zabel, der nun 69 Zähler hinter dem Rabobank-Profi liegt.
Aus dieser Konstellation könnte man Erik Zabel fast neue Ambitionen auf den Gesamtweltcup antragen. Ein weiterer Start wäre bei drei ausstehenden Rennen nötig, um im Klassement zu bleiben. Doch „man muss auch mal abgeben können“, sagte Zabel mit Blick auf Namensvetter Erik (Dekker), der weiter hinten Hof vor holländischen Journalisten hielt. Er, Zabel, traue Dekker auch weiterhin „Platzierungen im vorderen Punktebereich“ zu. Zudem will der Ganzjahresartist, der 2000 quasi auf dem Zahnfleisch zum Weltcup-Sieg kroch und die Trophäe im Oktober nach der abschließenden Lombardei-Rundfahrt mit fiebrigen Augen stemmte, den Familienfrieden nicht länger riskieren. Frau Cordula war schon vor Hamburg leicht genervt vom „angespannten“ Gatten; der Kurzurlaub auf Mallorca hatte sich mal wieder als Trainingslager mit sechsstündigen Ausfahrten am Anschlag entpuppt. Andererseits versprach Zabel Sonntag noch „eine Überraschung“ fürs Saisonfinale und kokettierte mit einer Teilnahme bei der Vuelta.
Wie auch immer: Der lang ersehnte Weltcup-Triumph an der Elbe kam auch deshalb zur rechten Zeit, weil er von neuen Doping-Anwürfen gegen Telekom in der italienischen Presse ablenkt. Die Magenta-Profis Alberto Elli und Roberto Sgambelluri stehen offenbar – aber noch nicht offiziell – nach der Razzia beim Giro auf der Liste der Staatsanwaltschaft in Florenz für ein Ermittlungsverfahren. Telekom-Pressesprecher Olaf Ludwig sieht noch „keinen Handlungsbedarf“. Der Abschied der beiden Italiener von der Mannschaft nach dieser Saison soll mit der Sache nichts zu tun haben.
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