: Weniger Menschen leben von Stütze
Den Klischees der „Arbeitsverweigerung“ zum Trotz: Die Zahl der Sozialhilfeempfänger geht insgesamt zurück. Positive Arbeitsmarkttrends und neue Jobmaßnahmen als Ursache. Im Osten steigt Zahl der Stützeempfänger allerdings an
von BARBARA DRIBBUSCH
Sozialhilfeempfänger sind in den vergangenen Monaten wieder stärker ins politische Blickfeld geraten, ganz so, als bedrohte ein wachsendes Heer arbeitsunwilliger Armer den sozialen Frieden in Deutschland. In Wirklichkeit jedoch geht die Zahl der Sozialhilfeempfänger zurück. Das beweisen neue Zahlen, die das Statistische Bundesamt in Wiesbaden gestern veröffentlichte. Danach lebten am Jahresende 2000 4,5 Prozent weniger Menschen von Stütze als noch am Jahresende 1999.
Die Zahl der Personen, die Sozialhilfe zum Lebensunterhalt beziehen, ist damit schon im dritten Jahr zurückgegangen, und zwar in zunehmend größeren Schritten. Der Rückgang gilt allerdings nur für Westdeutschland. Im Osten wurde ein Anstieg der Hilfebedürftigen um 1,6 Prozent registriert. Das heißt aber wiederum nicht, dass im Osten besonders viele Menschen von Stütze leben. Die Sozialhilfequote, also der Anteil der Stützeempfänger an der Bevölkerung, liegt im Westen mit 3,4 Prozent nach wie vor höher als im Osten, wo nur 2,8 Prozent der Einwohner Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen. Die höchsten Sozialhilfequoten verzeichnen die Stadtstaaten Bremen, Berlin und Hamburg. Dies liegt auch am hohen Anteil von Alleinerziehenden in den großen Städten.
Das Klischee, dass die Zahl der Ausländer auf Stütze zunimmt und in den Metropolen immer größere Ghettos entstehen, stimmt nach der neuesten Statistik ebenfalls nicht. Die Zahl der ausländischen Sozialhilfeempfänger ist nämlich um 6 Prozent gesunken, die der Deutschen hingegen nur um 4,1 Prozent. Der Anteil der Hilfebedürftigen liegt unter den Ausländern allerdings nach wie vor höher als unter den Deutschen.
Der erfreuliche Trend beweist, dass das Vorurteil von den arbeitsunwilligen Sozialhilfeempfängern auf die überwiegende Mehrzahl nicht zutrifft. Als Ursache für den Rückgang nennt der Deutsche Städtetag nämlich die „positive wirtschaftliche Entwicklung“, sprich eine verbesserte Arbeitsmarktlage im Jahre 2000 und die „verstärkten Aktivitäten“ in Qualifizierung und Arbeitsvermittlung, die Städte und Kommunen den Hilfebedürftigen anbieten. Lehnen Stützeempfänger diese Angebote ab, kann ihnen die Sozialhilfe gekürzt werden.
Die Städte konnten im Jahr 2000 rund 403.000 zuvor arbeitslosen Sozialhilfeempfängern eine Tätigkeit im Rahmen der kommunalen Beschäftigungsförderung vermitteln, 34 Prozent mehr als noch im Jahre 1998.
Der politische Streit um die Arbeitsverpflichtung von Sozialhilfeempfängern geht unterdessen weiter. Die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in der SPD wandte sich gestern gegen die Äußerungen von SPD-Vize Rudolf Scharping, der gefordert hatte, den Druck insbesondere auf junge Sozialhilfeempfänger zu verstärken. Der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) sagte dagegen laut Kölner Stadtanzeiger, Scharping habe „im Kern Recht“.
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