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Messer zu Pflugscharen

Aufklärungsprogramme und die Angst vor Aids lassen in Afrika die Zahl der Klitorisbeschneidungen zurückgehen. In Kenia bemüht sich die katholische Kirche zudem, den Beschneiderinnen eine Existenz jenseits der blutigen Tradition zu ermöglichen

von ASTRID PRANGE (Text) und FRIEDRICH STARK (Fotos)

Sie müssen weder Brennholz schleppen noch Maniok anbauen. Sie können es sich leisten, Fleisch zu essen und ihre Kinder in die Schule zu schicken. Kurzum: In Kenia, wo die Hälfte der dreißig Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze lebt, stehen Beschneiderinnen auf der Siegerseite. „Beschneidung ist ein gutes Geschäft“, bestätigt Tabitta Wambura aus der Region Central Province in der Nähe der Hauptstadt Nairobi. „Ich brauche mir bei der Landarbeit nicht die Hände schmutzig zu machen, sondern kann Leute dafür anheuern.“ „Meine Großmutter war auch wohlhabend, und ich musste nie hart arbeiten“, ergänzt die zweite Beschneiderin, Catherine Wamarwa. „In drei Minuten ist alles vorbei, und ich habe das Geld“, erklärt die 46-Jährige.

Bis vor kurzem störten sich die mächtigen Frauen aus der Central Province nicht daran, dass an ihren Messern und Rasierklingen das Blut junger Mädchen klebt. Schließlich machten sie die ihnen anvertrauten Töchter durch die Entfernung der Klitoris und der Schamlippen zu richtigen Frauen und verhalfen ihnen zu Anerkennung innerhalb der Gemeinschaft. Erst nach der Entfernung der Klitoris, die in vielen Teilen Afrikas als männliches Attribut angesehen und als „Dreckstück“ bezeichnet wird, gelten Mädchen als sauber und heiratsfähig.

Um das grausame Initiationsritual ranken sich beharrliche Mythen: Die Beschneidung bewahre die Jungfräulichkeit und schütze junge Mädchen vor dem Abgleiten in die Prostitution, sie drossele ihre sexuelle Begierde und verleihe ihnen eine besondere Reife. Hinzu kommt die Angst vor dem Fluch, der nach traditionellem Glauben auf unbeschnittenen Mädchen lastet: Männer, die sie heiraten, gelten ebenfalls als unrein und werden von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt. Beschneidung ist in Kenia Frauensache. Die Großmütter drängen auf die Beschneidung ihrer Enkelinnen, weil sie der Überzeugung sind, dass ohne diese „Säuberung“ kein Ehemann sie akzeptieren wird.

„Ich wurde zwar in der Schule über die schlimmen Folgen der Beschneidung aufgeklärt, doch wenn ich mich geweigert hätte, dann wäre ich von meiner Familie verstoßen worden“, erzählt die neunzehnjährige Ann Wambui Mwangi, die mit vierzehn Jahren unters Messer kam. Nach der schmerzvollen Zeremonie wurde sie in der Familie besser behandelt. Die Mutter war erleichtert, dass ihre Tochter auf diese Weise der verhängnisvollen Verfluchung der Großmutter entkommen war. Männern sei es nicht so wichtig, ob Mädchen beschnitten sind oder nicht, lautete damals die Erkenntnis ihrer Mitschülerinnen. „Sie haben oft keine Ahnung von der Anatomie eines Frauenkörpers und den Schmerzen, die wir durchmachen“, sagt Ann Mwangi verschämt.

Obwohl die Verstümmelung der weiblichen Genitalien seit 1983 offiziell verboten ist und als Menschenrechtsverletzung geächtet wird, ist ein Drittel aller Frauen zwischen fünfzehn und neunzehn Jahren zwischen Mombasa und Nairobi beschnitten. Die blutige Zeremonie verlangt von den Frauen, die sie ausführen, großes Geschick und eiserne Nerven. „Als ich zehn war, hat meine Großmutter mich als Beschneiderin ausgewählt“, erzählt Philomena Nduku Paul vom Stamm der Kamba. „Und weil ich als sehr tapfer galt, durfte ich mit fünfzehn Jahren bereits meine erste Beschneidung vornehmen.“

Die 50-jährige Kenianerin, die sich zusammen mit anderen Kolleginnen regelmäßig zum Erfahrungsaustausch im Gemeindehaus der Diözese Muranga trifft, ist eine gestandene Frau. Sie strahlt Gelassenheit und Stärke aus. Selbst wenn sie ungeniert schildert, dass mindestens drei Schnitte nötig sind, damit wirklich alles „sauber“ ist, kommt kein Hauch von Blutrünstigkeit oder gar Grausamkeit auf. Nicht ohne Stolz merkt Philomena Paul an, dass sie aufgrund ihrer professionellen Arbeit im Dorf hohe Anerkennung genoss. Die Mütter vertrauten Philomena ihre Töchter an, denn dank der Präzision ihrer Schnitte heilten die Wunden normalerweise schnell.

Doch mittlerweile plagen auch die selbstbewussten Beschneiderinnen Zweifel. Nach dem offiziellen Verbot der Genitalverstümmelung 1983 wurde aus der zuvor prunkvoll in der Öffentlichkeit gefeierten Zeremonie eine geheime Angelegenheit. „Ich hatte immer Angst, von der Regierung oder der Kirche erwischt zu werden“, gesteht Catherine Wamarwa. Deshalb habe sie Gott vor jeder Operation um Schutz und um Vergebung gebeten. „Es ist wie bei einem Dieb“, erklärt sie. „Natürlich weiß er, dass man nicht stehlen darf, aber er tut es trotzdem.“

Das Versteckspiel hat nun ein Ende. Catherine Wamarwa gehört zu der wachsenden Zahl von Frauen in Kenia, die ihren Beruf nicht mehr ausüben. „Die Mädchen leiden, verlieren viel Blut und können sich gefährliche Infektionen zuziehen“, ist sie mittlerweile überzeugt. Deshalb erkläre sie allen Müttern in der Gemeinde, wie schädlich die Zeremonie ist. Leicht war es für die Witwe nicht, auf ihre lukrative Tätigkeit zu verzichten. Immerhin verdiente sie in Spitzenzeiten bis zu 24.000 kenianische Schilling im Monat, umgerechnet 685 Mark, mehr als das Sechsfache des kenianischen Mindestlohns. Aufgrund des starken Andrangs vor ihrer Hütte stieg sie in der Vorweihnachtszeit, wenn die Eltern in den Schulferien ihre Töchter zu ihr schickten, in den Augen der Dorfbewohner regelmäßig zur „Mudosi“, zur „großen Chefin“, auf.

Nun sitzt Catherine Wamarwa zusammen mit anderen ehemaligen Beschneiderinnen festlich gekleidet im Gemeindezentrum der Diözese Muranga. Rund um den roten Backsteinbau sind liebevoll kleine Beete angelegt und die Fußwege sorgfältig geharkt worden. Im Vergleich zu den umliegenden Holzhütten nimmt sich das Gemeindezentrum, in das auch ein Gesundheitsposten integriert ist, beinahe wuchtig aus. Ein Telefon verbindet den Posten mit der Außenwelt, fließendes Wasser, Kisten mit Medikamenten und Verbandsmaterial ermöglichen eine erste medizinische Behandlung.

Die Beschneiderinnen zupfen an ihren Kopftüchern, rücken ihre Röcke zurecht und wischen sich die Schweißperlen von der Stirn. Sie erwarten hohen Besuch: Schwester Ephigenia Wambui Gachiri. Die Nonne aus der Schwesterngemeinschaft von der Heiligen Jungfrau Maria kämpft seit 1999 gegen Genitalverstümmelung in Kenia. Die Frauen begegnen der streitbaren Katholikin mit gemischten Gefühlen: Einerseits bewundern sie die Schwester für ihre Aufklärungsarbeit, andererseits fühlen sie sich im Vergleich zu ihr als Verliererinnen. Denn die im Ausland promovierte Geistliche verfügt über exzellente Kontakte und wirbt erfolgreich um die Spendengelder internationaler Hilfsorganisationen.

Catherine Wamarwa beispielsweise hat rund zwanzigtausend kenianische Schilling (570 Mark) von ihr bekommen, damit sie ihr Handwerk aufgibt. Sie investierte die Entschädigungssumme in die Pacht eines Reisfelds und erntet jährlich 25 Sack Reis, die auf dem Markt rund fünfzigtausend Schilling (1.425 Mark) einbringen. Beschneiderin Philomena Paul hat von dem Geld zwei Milchziegen und eine Kuh gekauft. „Wenn wir auf dem Markt nicht genügend verkaufen, arbeiten wir auf der Bohnenfarm als Packerinnen“, erklärt sie. „Da bekommen wir hundert Schilling (drei Mark) pro Tag.“

Das Programm zur Bekämpfung der Genitalverstümmelung, das unter anderem vom Internationalen Katholischen Missionswerk Missio in Aachen mit 59.000 Mark im laufenden Jahr unterstützt wird, ist nicht unumstritten. „Ich kann nicht allen Frauen zwanzigtausend Schilling geben, dann wollen plötzlich alle Beschneiderinnen sein“, räumt Schwester Gachiri ein. Und ihr ist bewusst, dass sich Missbrauch nicht immer ausschließen lässt. „Es gibt Frauen, die kassieren das Geld und machen weiter“, weiß sie aus Erfahrung, doch sie lässt sich nicht entmutigen: „Wenn sich die Tradition der Beschneidung negativ auf Mutterschaft und Familie auswirkt, dann bekommt dies langfristig auch die Gesellschaft zu spüren“, ist sie überzeugt. Genau in dieser Umbruchphase befinde sich Kenia zurzeit.

Wichtigster Verbündeter Gachiris im Kampf gegen die Genitalverstümmelung ist die Immunschwäche Aids. Die Gefahr, mit dem tödlichen Virus infiziert zu werden, ist enorm – schließlich werden bis zu zehn Mädchen nacheinander beschnitten, ohne dass die Messer gereinigt werden. „Den Frauen geht nach und nach die Kundschaft aus“, prognostiziert Schwester Gachiri. Mit Empfehlungsschreiben des örtlichen Bischofs verschafft sie sich Zugang zu den Schulen in der Diözese Muranga. „Ich zeige die Filme über Beschneidung und Abtreibung“, sagt sie. „Die Schüler sind geschockt, aber ich habe Erfolg.“

Ephigenia Gachiri verlangt mehr Einsatz von der katholischen Kirche im Kampf gegen die Genitalverstümmelung: „Wir brauchen ein neues Ritual für den Übergang von der Kindheit zur Pubertät, hier ist die Kirche gefragt.“ Außerdem habe die Kenianische Bischofskonferenz bis jetzt noch nicht ausdrücklich ausgesprochen, dass es katholischen Schwestern verboten ist, Beschneidungen vorzunehmen. Leider seien diese in einigen Krankenhäusern, in die Angehörige der Mittelschicht ihre Töchter schickten, durchaus noch an der Tagesordnung.

Manchmal kommen jedoch auch der überzeugten Katholikin Zweifel, wenn sie an das persönliche Schicksal der Beschneiderinnen denkt. Zwar hat sie ihre Geschlechtsgenossinnen von dem anstrengenden Leben mit Doppelmoral und schlechtem Gewissen befreit. Sie hat ihnen sogar eine neue Einnahmequelle verschafft, „damit sie kein schmutziges Geld mehr verdienen müssen“. Doch sie hat deren Selbstbewusstsein untergraben und deren berufliches Ansehen ruiniert. „Auf den ersten Blick verlieren die Frauen gleich zweimal“, räumt sie ein, „doch die Zeit arbeitet für mich. Langfristig geht den Beschneiderinnen die Kundschaft aus.“

ASTRID PRANGE, 38, war von 1989 bis 1996 Brasilien-Korrespondentin der taz. Zurzeit arbeitet sie in der Wirtschaftsredaktion des Rheinischen Merkurs in Bonn

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