: Eine hoffnungsvolle Elf, mehr nicht
Trotz des historischen Sieges über Deutschland und guter Aussichten auf die Direktqualifikation für die Fußball-WM in Japan und Südkorea 2002 fehlt Englands Kickern die Reife zum absoluten Spitzenteam
MÜNCHEN taz ■ Unten auf der Tartanbahn des Münchner Olympiastadions gratulierte ein lächelnder Schotte einem strahlenden Schweden. So sieht das aus, wenn England feiert. Adam Crozier, der schottische Geschäftsführer des englischen Fußballverbandes, war Ende letzten Jahres die treibende Kraft, als es darum ging, erstmals einen Ausländer zum Nationaltrainer zu bestellen, den Schweden Sven-Göran Eriksson. Gebracht hat es Crozier einige Drohbriefe von Rechtsradikalen und am Samstag die Bestätigung, alles richtig gemacht zu haben. „Fünf zu eins“, sagte sich der dreifache Torschütze Michael Owen vor, um es besser glauben zu können: „Ich meine: Fünf zu eins! Vor dem Spiel habe ich mich gar nicht getraut zu sagen: ,Wir gewinnen hier.‘ Und jetzt: Fünf zu eins.“
Vielleicht wird man einmal in zehn Jahren sagen können: München war der Beginn eines großen englischen Teams. Historiker machen den Anfang von Epochen gerne an einzelnen einschneidenden oder dramatischen Ereignissen fest. Doch aus der heutigen Sicht hat das überwältigende Resultat wenig an der Einschätzung der englischen Nationalelf geändert: Sie war vorher schon eine hoffnungsvolle junge Mannschaft – und mehr ist sie heute auch noch nicht. „Es ist nach so einem Spiel leicht zu glauben, wir hätten die WM schon gewonnen“, sagte Eriksson. „Tatsächlich haben wir uns noch nicht einmal qualifiziert.“
Dazu braucht es nun noch zwei Siege in Heimspielen am Mittwoch gegen Albanien und am 6. Oktober gegen Griechenland. Das sollte England schaffen. Doch selbst in dem vermeintlich historischen Sieg fanden sich genug Indizien, dass dem Team die Konstanz und Reife einer absoluten Spitzenelf noch fehlt. Es war ein Weltklasseresultat, keine Weltklasseleistung. Eriksson hat in seinen ersten acht Monaten in London versucht, der Mannschaft einen ruhigen, vorsichtigen Stil beizubringen. Sein England wartet gerne in der eigenen Hälfte auf den Gegner, das legendäre englische Forechecking erwacht allenfalls noch sporadisch zum Leben. Sicherheit strahlten sie in München nur bedingt aus. Da versprang Verteidiger Ashley Cole der Ball ins Aus, ließ Steven Gerrard im Mittelfeld Sebastian Deisler großzügig Freiräume, verschwand Spielmacher Paul Scholes über Minuten in der Tiefe des Raums – als ihnen allerdings die Deutschen mit ihren Fehlern Torchancen boten, nutzte England das mit kalter Präzision.
Michael Owen terrorisierte die deutsche Abwehr mit seinen Sprints. „Irgendwann merkte ich, wie die Deutschen richtig Angst bekamen, wenn wir wieder auf sie zugerannt kamen“, sagte Owen. Er ist erst 21, was einen ratlos macht: Fußballer erreichen erfahrungsgemäß Mitte oder Ende der Zwanziger die Höhe ihres Schaffens. Aber wie soll ein Owen noch besser werden? Vielleicht so wie David Beckham. Der Mannschaftskapitän tat am Samstag kaum etwas Spektakuläres – und war trotzdem fantastisch. Zu viele Kritiker reduzieren ihn darauf, er könne nur flanken und Freistöße schießen. Sie alle sollten sich ein Video von dem Match besorgen. Beckham schlug keine einzige seiner berühmten krummen Flanken. Aber er half bei vier der fünf Tore mit, er spielte nicht mehr als drei Fehlpässe, seine Defensivarbeit war bemerkenswert. Ein guter Einzelspieler war er schon mit 20. Mit 26 prägt er die Mannschaft.
Fußballteams werden nicht in einer Nacht geboren. Als England vor elf Monaten das Hinspiel in der WM-Qualifikation 0:1 gegen Deutschland verlor, wurde das Ergebnis als deutsche Renaissance und englischer Untergang interpretiert. So übertrieben die Wertungen damals waren, so falsch sind umgekehrte Schlüsse diesmal. Wie Deutschland ist England seit dem Scheitern bei der EM 2000 ein gutes, aber unreifes Team im Aufbau. Schwankungen in den Leistungen sind unvermeidlich. Es ist gerade mal zwei Wochen her, da war eine garstig schlechte englische Elf zu sehen: beim 0:2 im Test gegen Holland.
Die Spieler hatten es nicht vergessen, als sie in München aus dem Stadion in die Samstagnacht gingen. Keiner hielt sich für den Größten. Am weitesten wagte sich noch Außenverteidiger Gary Neville vor – ins Genre der Poesie. „Es blühen jetzt viel mehr Rosen im Garten“, sagte er. RONALD RENG
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